Dramatische Werke
Menschen zu beglücken. Die rechte Kunst ist nur diese, welche den höchsten Genuß verschafft. Der höchste Genuß aber ist die Freiheit des Gemüthes in dem lebendigen Spiel aller seiner Kräfte.
Jeder Mensch zwar erwartet von den Künsten der Einbildungskraft eine gewisse Befreiung von den Schranken des Wirklichen; er will sich an dem Möglichen ergötzen und seiner Phantasie Raum geben. Der am wenigsten erwartet, will doch sein Geschäft, sein gemeinsames Leben, sein Individuum vergessen, er will sich in außerordentlichen Lagen fühlen, sich an den seltsamen Combinationen des Zufalls weiden; er will, wenn er von ernsthafterer Natur ist, die moralische Weltregierung, die er im wirklichen Leben vermißt, auf der Schaubühne finden. Aber er weiß selbst recht gut, daß er nur ein leeres Spiel treibt, daß er im eigentlichen Sinn sich nur an Träumen weidet, und wenn er von dem Schauplatz wieder in die wirkliche Welt zurückkehrt, so umgibt ihn diese wieder mit ihrer ganzen drückenden Enge, er ist ihr Raub, wie vorher; denn sie selbst ist geblieben, was sie war, und an ihm ist nichts verändert worden. Dadurch ist also nichts gewonnen, als ein gefälliger Wahn des Augenblicks, der beim Erwachen verschwindet.
Und eben darum, weil es hier nur auf eine vorübergehende Täuschung abgesehen ist, so ist auch nur ein Schein der Wahrheit oder die beliebte Wahrscheinlichkeit nöthig, die man so gern an die Stelle der Wahrheit setzt.
Die wahre Kunst aber hat es nicht bloß auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen; es ist ihr Ernst damit, den Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn wirklich und in der That frei zu machen , und dieses dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur als ein roher Stoff auf uns lastet, als eine blinde Macht auf uns drückt, in eine objective Ferne zu rücken, in ein freies Werk unseres Geistes zu verwandeln und das Materielle durch Ideen zu beherrschen.
Und eben darum weil die wahre Kunst etwas Reelles und Objectives will, so kann sie sich nicht bloß mit dem Schein der Wahrheit begnügen; auf der Wahrheit selbst, auf dem festen und tiefen Grunde der Natur errichtet sie ihr ideales Gebäude.
Wie aber nun die Kunst zugleich ganz ideell und doch im tiefsten Sinne reell sein – wie sie das Wirkliche ganz verlassen und doch aufs genaueste mit der Natur übereinstimmen soll und kann, das ist's, was Wenige fassen, was die Ansicht poetischer und plastischer Werke so schielend macht, weil beide Forderungen einander im gemeinen Urtheil geradezu aufzuheben scheinen.
Auch begegnet es gewöhnlich, daß man das Eine mit Aufopferung des Andern zu erreichen sucht und eben deßwegen Beides verfehlt. Wem die Natur zwar einen treuen Sinn und eine Innigkeit des Gefühls verliehen, aber die schaffende Einbildungskraft versagte, der wird ein treuer Maler der Wirklichkeit sein, er wird die zufälligen Erscheinungen, aber nie den Geist der Natur ergreifen. Nur den Stoff der Welt wird er uns wiederbringen; aber es wird eben darum nicht unser Werk, nicht das freie Produkt unsers bildenden Geistes sein und kann also auch die wohlthätige Wirkung der Kunst, welche in der Freiheit besteht, nicht haben. Ernst zwar, doch unerfreulich ist die Stimmung, mit der uns ein solcher Künstler und Dichter entläßt, und wir sehen uns durch die Kunst selbst, die uns befreien sollte, in die gemeine enge Wirklichkeit peinlich zurückversetzt. Wem hingegen zwar eine rege Phantasie, aber ohne Gemüth und Charakter, zu Theil geworden, der wird sich um keine Wahrheit bekümmern, sondern mit dem Weltstoff nur spielen, nur durch phantastische und bizarre Combinationen zu überraschen suchen, und wie sein ganzes Thun nur Schaum und Schein ist, so wird er zwar für den Augenblick unterhalten, aber im Gemüth nichts erbauen und begründen. Sein Spiel ist, so wie der Ernst des Andern, kein poetisches. Phantastische Gebilde willkürlich an einander reihen, heißt nicht ins Ideale gehen, und das Wirkliche nachahmend wieder bringen, heißt nicht die Natur darstellen. Beide Forderungen stehen so wenig im Widerspruch miteinander, daß sie vielmehr – eine und dieselbe sind; daß die Kunst nur dadurch wahr ist, daß sie das Wirkliche ganz verläßt und rein ideell wird. Die Natur selbst ist nur eine Idee des Geistes, die nie in die Sinne fällt. Unter der Decke der Erscheinungen liegt sie, aber sie selbst kommt niemals zur Erscheinung. Bloß
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