Dramatische Werke
der Kunst des Ideals ist es verliehen, oder vielmehr, es ist ihr aufgegeben, diesen Geist des Alls zu ergreifen und in einer körperlichen Form zu binden. Auch sie selbst kann ihn zwar nie vor die Sinne, aber doch durch ihre schaffende Gewalt vor die Einbildungskraft bringen und dadurch wahrer sein, als alle Wirklichkeit, und realer, als alle Erfahrung. Es ergibt sich darauf von selbst, daß der Künstler kein einziges Element aus der Wirklichkeit brauchen kann, wie er es findet, daß sein Werk in allen seinen Theilen ideell sein muß, wenn es als ein Ganzes Realität haben und mit der Natur übereinstimmen soll.
Was von Poesie und Kunst im Ganzen wahrhaft ist, gilt auch von allen Gattungen derselben, und es läßt sich ohne Mühe von dem jetzt Gesagten auf die Tragödie die Anwendung machen. Auch hier hatte man lange und hat noch jetzt mit dem gemeinen Begriff des Natürlichen zu kämpfen, welcher alle Poesie und Kunst geradezu aufhebt und vernichtet. Der bildenden Kunst gibt man zwar nothdürftig, doch mehr aus conventionellen als aus innern Gründen, eine gewisse Idealität zu; aber von der Poesie und von der dramatischen insbesondere verlangt man Illusion , die, wenn sie auch wirklich zu leisten wäre, immer nur ein armseliger Gauklerbetrug sein würde. Alles Aeußere bei einer dramatischen Vorstellung steht diesem Begriff entgegen – Alles ist nur ein Symbol des Wirklichen. Der Tag selbst auf dem Theater ist nur ein künstlicher, die Architektur ist nur eine symbolische, die metrische Sprache selbst ist ideal; aber die Handlung soll nun einmal real sein und der Theil das Ganze zerstören. So haben die Franzosen, die den Geist der Alten zuerst ganz mißverstanden, eine Einheit des Ortes und der Zeit nach dem gemeinsten empirischen Sinn auf der Schaubühne eingeführt, als ob her ein anderer Ort wäre, als der bloß ideale Raum, und eine andere Zeit, als bloß die stetige Folge der Handlung.
Durch Einführung einer metrischen Sprache ist man indeß der poetischen Tragödie schon um einen großen Schritt näher gekommen. Es sind einige lyrische Versuche auf der Schaubühne glücklich durchgegangen, und die Poesie hat sich durch ihre eigene lebendige Kraft im Einzelnen manchen Sieg über das herrschende Vorurtheil errungen. Aber mit den einzelnen ist wenig gewonnen, wenn nicht der Irrthum im Ganzen fällt, und es ist nicht genug, daß man das nur als eine poetische Freiheit duldet, was doch das Wesen aller Poesie ist. Die Einführung des Chors wäre der letzte, der entscheidende Schritt – und wenn derselbe auch nur dazu diente, dem Naturalism in der Kunst offen und ehrlich den Krieg zu erklären, so sollte er uns eine lebendige Mauer sein, die die Tragödie um sich herumzieht, um sich von der wirklichen Welt rein abzuschließen und sich ihren idealen Boden, ihre poetische Freiheit zu bewahren.
Die Tragödie der Griechen ist, wie man weiß, aus dem Chor entsprungen. Aber sowie sie sich historisch und der Zeitfolge nach daraus loswand, so kann man auch sagen, daß sie poetisch und dem Geist nach aus demselben entstanden, und daß ohne diesen beharrlichen Zeugen und Träger der Handlung eine ganz andere Dichtung aus ihr geworden wäre. Die Abschaffung des Chors und die Zusammenziehung dieses sinnlich mächtigen Organs in die charakterlose langweilig wiederkehrende Figur eines ärmlichen Vertrauten war also keine so große Verbesserung der Tragödie, als die Franzosen und ihre Nachbeter sich eingebildet haben.
Die alte Tragödie, welche sich ursprünglich nur mit Göttern, Helden und Königen abgab, brauchte den Chor als eine nothwendige Begleitung; sie fand ihn in der Natur und brauchte ihn, weil sie ihn fand. Die Handlungen und Schicksale der Helden und Könige sind schon an sich selbst öffentlich und waren es in der einfachen Urzeit noch mehr. Der Chor war folglich in der alten Tragödie mehr ein natürliches Organ, er folgte schon aus der poetischen Gestalt des wirklichen Lebens. In der neuen Tragödie wird er zu einem Kunstorgan; er hilft die Poesie hervorbringen . Der neuere Dichter findet den Chor nicht mehr in der Natur, er muß ihn poetisch erschaffen und einführen, das ist, er muß mit der Fabel, die er behandelt, eine solche Veränderung vornehmen, wodurch sie in jene kindliche Zeit und in jene einfache Form des Lebens zurückversetzt wird.
Der Chor leistet daher dem neuern Tragiker noch weit wesentlichere Dienste, als dem alten Dichter, eben deßwegen, weil er die moderne gemeine Welt in die alte
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