Dramatische Werke
Firnen dort, die weissen Hörner,
Die hoch bis in den Himmel sich verlieren?
Walther :
Das sind die Gletscher, die des Nachts so donnern,
Und uns die Schlaglawinen niedersenden.
Tell :
So ist's, und die Lawinen hätten längst
Den Flecken Altdorf unter ihrer Last
Verschüttet, wenn der Wald dort oben nicht
Als eine Landwehr sich dagegenstellte.
Walther nach einigem Besinnen :
Gibt's Länder, Vater, wo nicht Berge sind?
Tell :
Wenn man hinuntersteigt von unsern Höhen,
Und immer tiefer steigt, den Strömen nach,
Gelangt man in ein grosses ebnes Land,
Wo die Waldwasser nicht mehr brausend schäumen,
Die Flüsse ruhig und gemächlich ziehn,
Da sieht man frei nach allen Himmelsräumen,
Das Korn wächst dort in langen schönen Auen,
Und wie ein Garten ist das Land zu schauen.
Walther :
Ei Vater, warum steigen wir denn nicht
Geschwind hinab in dieses schöne Land,
Statt dass wir uns hier ängstigen und plagen?
Tell :
Das Land ist schön und gütig wie der Himmel,
Doch die's bebauen, sie geniessen nicht
Den Segen, den sie pflanzen.
Walther :
Wohnen sie
Nicht frei wie du auf ihrem eignen Erbe?
Tell :
Das Feld gehört dem Bischof und dem König.
Walther :
So dürfen sie doch frei in Wäldern jagen?
Tell :
Dem Herrn gehört das Wild und das Gefieder.
Walther :
Sie dürfen doch frei fischen in dem Strom?
Tell :
Der Strom, das Meer, das Salz gehört dem König.
Walther :
Wer ist der König denn, den alle fürchten?
Tell :
Es ist der eine, der sie schützt und nährt.
Walther :
Sie können sich nicht mutig selbst beschützen?
Tell :
Dort darf der Nachbar nicht dem Nachbar trauen.
Walther :
Vater, es wird mir eng im weiten Land,
Da wohn ich lieber unter den Lawinen.
Tell :
Ja wohl ist's besser, Kind, die Gletscherberge
Im Rücken zu haben, als die bösen Menschen.
Sie wollen vorübergehen.
Walther :
Ei Vater, sieh den Hut dort auf der Stange.
Tell :
Was kümmert uns der Hut? Komm, lass uns gehen.
Indem er abgehen will, tritt ihm Friesshardt mit vorgehaltner Pike entgegen.
Friesshardt :
In des Kaisers Namen! Haltet an und steht!
Tell greift in die Pike :
Was wollt Ihr? Warum haltet Ihr mich auf?
Friesshardt :
Ihr habt's Mandat verletzt, Ihr müsst uns folgen.
Leuthold :
Ihr habt dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
Tell :
Freund, lass mich gehen.
Friesshardt :
Fort, fort ins Gefängnis!
Walther :
Den Vater ins Gefängnis! Hülfe! Hülfe!
In die Szene rufend:
Herbei, ihr Männer, gute Leute helft,
Gewalt, Gewalt, sie führen ihn gefangen.
Rösselmann der Pfarrer und Petermann der Sigrist, kommen herbei, mit drei andern Männern.
Sigrist :
Was gibt's?
Rösselmann :
Was legst du Hand an diesen Mann?
Friesshardt :
Er ist ein Feind des Kaisers, ein Verräter!
Tell fasst ihn heftig :
Ein Verräter, ich!
Rösselmann :
Du irrst dich Freund, das ist
Der Tell, ein Ehrenmann und guter Bürger.
Walther erblickt Walther Fürsten und eilt ihm entgegen :
Grossvater hilf, Gewalt geschieht dem Vater.
Friesshardt :
Ins Gefängnis, fort!
Walther Fürst herbeieilend :
Ich leiste Bürgschaft, haltet!
– Um Gottes willen, Tell, was ist geschehen?
Melchtal und Stauffacher kommen.
Friesshardt :
Des Landvogts oberherrliche Gewalt
Verachtet er, und will sie nicht erkennen.
Stauffacher :
Das hätt der Tell getan?
Melchtal :
Das lügst du Bube!
Leuthold :
Er hat dem Hut nicht Reverenz bewiesen.
Walther Fürst :
Und darum soll er ins Gefängnis? Freund,
Nimm meine Bürgschaft an und lass ihn ledig.
Friesshardt :
Bürg du für dich und deinen eignen Leib!
Wir tun, was unsers Amtes – Fort mit ihm!
Melchtal zu den Landleuten :
Nein, das ist schreiende Gewalt! Ertragen wir's,
Dass man ihn fortführt, frech, vor unsern Augen?
Sigrist :
Wir sind die Stärkern, Freunde, duldet's nicht,
Wir haben einen Rücken an den andern!
Friesshardt :
Wer widersetzt sich dem Befehl des Vogts?
Noch drei Landleute herbeieilend :
Wir helfen euch. Was gibt's? Schlagt sie zu Boden.
Hildegard , Mechthild und Elsbeth kommen zurück.
Tell :
Ich helfe mir schon selbst. Geht, gute Leute,
Meint ihr, wenn ich die Kraft gebrauchen wollte,
Ich würde mich vor ihren Spiessen fürchten?
Melchtal zu Friesshardt :
Wag's, ihn aus unsrer Mitte wegzuführen!
Walther Fürst und Stauffacher :
Gelassen! Ruhig!
Friesshardt schreit :
Aufruhr und Empörung!
Man hört Jagdhörner.
Weiber :
Da kommt der Landvogt!
Friesshardt erhebt die Stimme :
Meuterei! Empörung!
Stauffacher :
Schrei, bis du berstest, Schurke!
Rösselmann und Melchtal :
Willst du
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