Dramen
vergangen!
Frau Gabor
Er hat sich nicht vergangen!
Herr Gabor
Er hat sich vergangen! – – – Ich hätte alles darum gegeben, es deiner grenzenlosen Liebe ersparen zu dürfen. – – Heute morgen kommt eine Frau zu mir, vergeistert, kaum ihrer Sprache mächtig, mit diesem Brief in der Hand – einem Brief an ihre fünfzehnjährige Tochter. Aus dummer Neugierde habe sie ihn erbrochen; das Mädchen war nicht zu Haus. – In dem Brief erklärte Melchior dem fünfzehnjährigen Kind, daß ihm seine Handlungsweise keine Ruhe lasse, er habe sich an ihr versündigt usw. usw., werde indessen natürlich für alles einstehen. Sie möge sich nicht grämen, auch wenn sie Folgen spüre. Er sei bereits auf dem Wege, Hilfe zu schaffen; seine Relegation erleichtere ihm das. Der ehemalige Fehltritt könne noch zu ihrem Glücke führen – und was des unsinnigen Gewäsches mehr ist.
Frau Gabor
Unmöglich!!
Herr Gabor
Der Brief ist gefälscht. Es liegt Betrug vor. Man sucht eine stadtbekannte Relegation nutzbar zu machen. Ich habe mit dem Jungen noch nicht gesprochen – aber sieh bitte die Hand! Sieh die Schreibweise!
Frau Gabor
Ein unerhörtes, schamloses Bubenstück!
Herr Gabor
Das fürchte ich!
Frau Gabor
Nein, nein – nie und nimmer!
Herr Gabor
Um so besser wird es für uns sein. – Die Frau fragt mich händeringend, was sie tun solle. Ich sagte ihr, sie solle ihre fünfzehnjährige Tochter nicht auf Heuböden herumklettern lassen. Den Brief hat sie mir glücklicherweise dagelassen. – Schicken wir Melchior nun auf ein anderes Gymnasium, wo er nicht einmal unter elterlicher Aufsicht steht, so haben wir in drei Wochen den nämlichen Fall – neue Relegation – sein frühlingsfreudiges Herz gewöhnt sich nachgerade daran. – Sag mir, Fanny, wo soll ich hin mit dem Jungen?!
Frau Gabor
– In die Korrektionsanstalt –
Herr Gabor
In die…?
Frau Gabor
… Korrektionsanstalt!
Herr Gabor
Er findet dort in erster Linie, was ihm zu Hause ungerechterweise vorenthalten wurde: eherne Disziplin, Grundsätze und einen moralischen Zwang, dem er sich unter allen Umständen zu fügen hat. – Im übrigen ist die Korrektionsanstalt nicht der Ort des Schreckens, den du dir darunter denkst. Das Hauptgewicht legt man in der Anstalt auf Entwicklung einer christlichen Denk- und Empfindungsweise. Der Junge lernt dort endlich das Gute wollen statt des Interessanten und bei seinen Handlungen nicht sein Naturell, sondern das Gesetz in Frage ziehen. – Vor einer halben Stunde erhalte ich ein Telegramm von meinem Bruder, das mir die Aussagen der Frau bestätigt. Melchior hat sich ihm anvertraut und ihn um 200 Mark zur Flucht nach England gebeten…
Frau Gabor
bedeckt ihr Gesicht
Barmherziger Himmel!
Vierte Szene
Korrektionsanstalt. – Ein Korridor. – Diethelm, Reinhold, Ruprecht, Helmuth, Gaston und Melchior.
Diethelm
Hier ist ein Zwanzigpfennigstück!
Reinhold
Was soll's damit?
Diethelm
Ich lege es auf den Boden. Ihr stellt euch drum herum. Wer es trifft, der hat's.
Ruprecht
Machst du nicht mit, Melchior?
Melchior
Nein, ich danke.
Helmuth
Der Joseph!
Gaston
Er kann nicht mehr. Er ist zur Rekreation hier.
Melchior
für sich
Es ist nicht klug, daß ich mich separiere. Alles hält mich im Auge. Ich muß mitmachen – oder die Kreatur geht zum Teufel. – – Die Gefangenschaft macht sie zu Selbstmördern. – – Brech' ich den Hals, ist es gut! Komme ich davon, ist es auch gut! Ich kann nur gewinnen. – Ruprecht wird mein Freund, er besitzt hier Kenntnisse. – Ich werde ihm die Kapitel von Judas Schnur Thamar, von Moab, von Loth und seiner Sippe, von der Königin Vasti und der Abisag von Sunem zum besten geben. – Er hat die verunglückteste Physiognomie auf der Abteilung.
Ruprecht
Ich hab's!
Helmuth
Ich komme noch!
Gaston
Übermorgen vielleicht!
Helmuth
Gleich! – Jetzt! – O Gott, o Gott…
Alle
Summa – summa cum laude!!
Ruprecht
das Stück nehmend
Danke schön!
Helmuth
Her, du Hund!
Ruprecht
Du Schweinetier?
Helmuth
Galgenvogel!!
Ruprecht
schlägt ihn ins Gesicht
Da!
(Rennt davon.)
Helmuth
ihm nachrennend
Den schlag' ich tot!
Die Übrigen
rennen hintendrein
Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz!
Melchior
allein, gegen das Fenster gewandt
– Da geht der Blitzableiter hinunter. – Man muß ein Taschentuch drumwickeln. – Wenn ich an sie denke, schießt mir immer das Blut in den Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. – – – Ich gehe zur Redaktion.
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