Dramocles
an das Protokoll halten, wie es von Ihrem ehrenwerten Herrn Vater, Otho dem Sonderbaren, festgesetzt wurde.«
Dramokles zuckte die Achseln. Othos Regeln, Gesetze und Anweisungen waren zum größten Teil äußerst nützlich, und Dramokles war es immer zu lästig gewesen, eigene Regeln zu erfinden. Dicht gefolgt von Rudolphus betrat er den Audienzsaal.
2
Die Audienz war, wie üblich, eine langweilige Angelegenheit. Geldstrafen für verschiedene Grafen und Barone mußten festgesetzt werden, die das königliche Mißfallen erregt hatten, weil sie die Bauern, die Steuereintreibemaschinen oder sich gegenseitig betrogen hatten. Dramokles brauchte bei der ganzen Sache nicht einmal nachzudenken, denn der Kammerherr hatte bereits alle Entscheidungen für ihn getroffen, streng nach den Vorschriften von Otho dem Sonderbaren. Die Fälle schleppten sich hin, und Dramokles saß auf dem hohen Thron und verspürte Selbstmitleid.
Obwohl er Alleinherrscher von Glorm war und im Bereich der Hiesigen Welten eine herausragende Position innehatte, fühlte Dramokles doch, daß er bisher nicht eben viel mit seinem Leben angefangen hatte; er hatte sich einfach den Verhältnissen angepaßt und Glorm während einer beispiellos langen Zeit des Friedens ziemlich geistesabwesend regiert. Gelangweilt und unglücklich rutschte er auf seinem Thron hin und her, rauchte kette und dachte, daß es alles andere als großartig war, ein großer König zu sein. Und dann trat die alte Frau vor, und von diesem Augenblick an änderte sich sein ganzes Leben.
Es war eine kleine, bucklige alte Frau, mit Ausnahme ihres grauen Kopftuches ganz in Schwarz gekleidet. Sie drängte sich durch die Menge des niederen Adels und ging auf den Thron zu, bis die Wachen sie mit ihren gekreuzten Hellebarden aufhielten. Dann rief sie laut: »Oh, großer König!«
»Ja, alte Dame«, sagte Dramokles, und mit einem Wink seiner Hand befahl er dem wutschnaubenden Rudolphus zu schweigen. »Wie ich sehe, hast du uns etwas zu sagen. Ich hoffe in deinem Interesse, daß es etwas Erfreuliches ist.«
»Sire«, sagte sie. »Ich muß höflichst um eine private Audienz bitten. Was ich zu sagen habe, ist ausschließlich für die Ohren des Königs bestimmt.«
»Tatsächlich?« sagte Dramokles.
»Aye, tatsächlich«, erwiderte die alte Frau. Dramokles betrachtete sie abschätzend, und sein Gesichtsausdruck veränderte sich fast unmerklich. Er drückte seine Zigarette im Aschenbecher aus, der aus einem einzigen Smaragd geschnitzt war.
»Führe sie in die Grüne Kammer«, sagte er zu der am nächsten stehenden Wache. »Dort soll sie auf uns warten. Ist dir das recht, mein Schatz?«
»Ja, Sire, solange es nicht Orange ist.«
Den Höflingen blieb angesichts ihrer Unverfrorenheit der Mund offenstehen. Aber Dramokles lächelte bloß. Als der Wachposten die Frau weggeführt hatte, signalisierte er dem Kammerherrn durch eine Handbewegung, daß er mit den Tagesgeschäften fortzufahren wünsche.
Eine Stunde später war die Audienz beendet. Dramokles ging zu der Grünen Kammer. Dort setzte er sich in einen bequemen Sessel, zündete sich eine Zigarette an und wandte sich der alten Dame zu, die steif auf einem Stuhl mit senkrechter Lehne saß.
»Du bist also gekommen«, sagte er.
»Genau zu der verabredeten Zeit«, sagte die alte Frau. »Ich mußte all meinen Mut zusammennehmen, um Euer Gnaden aufzusuchen, und ich habe es nur getan, weil die Furcht davor, es nicht zu tun, noch größer war.«
»Zuerst glaubte ich, du seiest verrückt«, sagte Dramokles. »Aber dann sagte ich zu dir >Tatsächlich< und du antwortetest >Aye, tatsächlich! Das ist eines der Kennwörter, die ich als persönlichen Kode für meine Agenten benutze. Im nächsten Satz benutzte ich das Wort grün, und du hast mit orange geantwortet. Da bestand kein Zweifel mehr. Habe ich dir noch andere Kennwörter beigebracht?«
»Noch zehn andere, insgesamt zwölf, damit ich mich Ihnen unzweifelhaft zu erkennen geben konnte.«
»Zwölf Kennwörter«, staunte Dramokles. »Mein gesamter Vorrat! Also muß es sich um eine Sache von kolossaler Bedeutung handeln. Ich kenne nicht einmal deinen Namen, alte Frau.«
»Damals, als Sie mir die Kennwörter beibrachten, sagten Sie, daß es genau so sein würde. Ich heiße Clara.«
»Ein Geheimnis! Wie schön!« sagte Dramokles glücklich. »Erzähl deine Geschichte, Clara.«
Clara sagte: »O großer König, vor dreißig Jahren besuchten Sie mich in der Stadt Murl. Dort verdiente ich mir meinen
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