Könige der ersten Nacht - Hennen, B: Könige der ersten Nacht
PROLOG
Das Richtschwert funkelte in der Frühlingssonne. Alles hielt den Atem an. Sie warteten auf ihn. Eine flüchtige Handbewegung, ein Nicken, würde über Leben oder Tod entscheiden. Der alte König genoss diesen Augenblick. Sein eigenes Leben würde nicht mehr lange währen. Ein paar Tage vielleicht noch … Er konnte spüren, wie nah der Tod ihm war. Und keine Macht der Welt vermochte ihn abzuwenden.
Der Alte nickte dem Henker zu. In blitzendem Bogen fuhr die Klinge nieder. Der Hieb war mit solcher Kraft geführt, dass der Hals glatt durchtrennt wurde und das Schwert knirschend auf den Marmorboden der Terrasse traf. Blut sprudelte über das blendende Weiß der Platten. Der König tat einen tiefen Seufzer. Gewöhnlich fühlte er sich belebt, wenn er einer Hinrichtung zusah. Doch diesmal war es anders … Seine Hände krampften sich um die Lehnen des Thronsessels.
»Bring mir den Kopf!«, befahl er mit müder Stimme. In den letzten Jahren war sein Augenlicht schwächer geworden, und er musste ganz sicher wissen, dass man den Richtigen getötet hatte. Er blickte zu seiner Schwester Salome, die der Hinrichtung ungerührt zugesehen hatte. Sie hatte ihn auf die Spur der Verschwörer gebracht. Doch nicht einmal ihr mochte er noch trauen! Er wusste, dass sein Thron von Verrätern und Aasgeiern umringt war, die es nicht abwarten konnten, dass er endlich den letzten Atemzug tat.
Der Henker hatte den Kopf bei den dichten, schwarzgelockten
Haaren gepackt und trug ihn zu ihm hinüber. Ein treuer Mann, dieser Gallier mit den Haaren aus Gold. Einst hatte sein Henker in der Leibgarde Kleopatras gedient. Nach dem Tod der Herrscherin am Nil hatte Octavian ihm den Gallier und dessen vierhundert Kameraden als Lohn für treue Dienste geschenkt.
Der Alte lächelte bei seinen Gedanken an die Vergangenheit und blickte in die dunklen Augen des Toten. Warmes Blut tropfte aus dem Halsstumpf auf seinen Schoß. Der König tastete über die unrasierten Wangen. Die Haut des Toten war wärmer als seine gichtkrummen Finger. »Und ich hatte dich für den Klügsten aus meiner Brut gehalten, Antipater, mein Sohn.« Er lächelte bitter und dachte an den kleinen Jungen, der vor so langen Jahren auf seinen Schoß gekrochen war, um ihn frech am Bart zu zupfen. »Du Narr! Du wusstest doch, dass ich dir den Thron überlassen würde! Hättest du nicht die paar Tage noch warten können … Meine Wunderheiler haben dir doch sicherlich verraten, wie es um mich steht.« Der Alte machte eine ärgerliche Geste. »Weg mit dem Aas!« Es war nicht das erste Mal, dass der König der Hinrichtung eines seiner Söhne beigewohnt hatte. Doch diesmal empfand er keine Befriedigung. Zu nah war sein eigener Tod.
Er blickte über den Palastgarten unterhalb der Terrasse. Er war immer gern hier in Jericho gewesen. Dafür, dass der Frühling gerade erst begonnen hatte, war es bereits angenehm warm.
Der Alte presste sich die Rechte auf den Leib. Die Schmerzen waren zurückgekehrt. Es war, als hause eine Ratte in seinem Gedärm, die ihm bei lebendigem Leib die Eingeweide auffraß.
Salome stand auf und trat an seine Seite. »Kann ich etwas für dich tun, Bruder? Dir einen …«
»Setz dich«, fauchte er ungehalten. Diese Kriecherei widerte ihn so an! Sie warteten doch alle nur darauf, dass es endlich vorbei war! Geier! Sie sollten sich vorsehen! Ein Wort von ihm, und sie alle lägen vor ihm im Grab.
Stille! Sie ahnten wohl seine Gedanken. Recht so! Elende Brut. Ein Leben lang hatte er für dieses Königreich gekämpft. Es mit List und seinem eigenen Blute erschaffen und verteidigt. Und diesen Geiern würde es einfach in den Schoß fallen. Was würden sie damit anfangen? Was würde von seinem Lebenswerk in siebzig Jahren noch bestehen?
Der alte König sah zum strahlend blauen Himmel hinauf. Irgendwo in den Gärten jenseits der Terrasse erklang helles Frauenlachen. Sie hatten keinen Respekt mehr vor ihm. Nicht einmal in seinem eigenen Palast. Zu lachen, während er sich vor Qualen wand!! Und nicht nur hier lachten sie. Sein Siechtum wurde überall mit Freuden begrüßt. Er wusste das! Wütend ballte er die Fäuste und sah im Geiste, wie man in ganz Judäa feiern würde, wenn er endlich verreckt sein würde! Den edomitischen Sklaven Roms nannten sie ihn … Aber noch war dieser Sklave König! Und alle, die seinen Tod so sehr herbeisehnten, sollten noch einmal seine Macht zu spüren bekommen. Hatte er ihnen nicht den Tempel in Jerusalem geschenkt und den Hafen Caesarea?
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