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Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft

Titel: Draußen - Reportagen vom Rand der Gesellschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Redline Wirtschaft
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ausgetropft haben.
    Professionelle Gastfreundschaft wird mir im Kloster Marienstatt geboten, das im Nistertal mitten in der Abgeschiedenheit des hohen Westerwaldes seine monumentale Pracht entfaltet. Gerade erst bin ich so ehrfurchtsvoll, wie das der frontale Gebirgsregen nur eben zuließ, übers alte Kopfsteinpflaster zwischen verwitterten Grabplatten auf das herrschaftliche Mönchsschloss zugestiefelt, habe mit meinem ganzen Gewicht die schwere Eichentür aufgestoßen und stehe nun, vor Nässe triefend, vor marmornen Engeln und Heiligenfiguren umstellt, in der grandiosen Empfangshalle des Klosters, da entriegelt der Bruder Pförtner auch schon eine Sprechluke und fragt:»Darf ich Ihnen eine kleine Speise bringen lassen, Sie sehen so aus, als könnten Sie’s gebrauchen?« Überrascht, wie sehr man sich in dieser weltabgewandten Frömmigkeit offensichtlich noch den Blick für die Realitäten erhalten hat, setze ich mich auf einen kunstvoll geschnitzten Stuhl vor einem runden Tisch und lasse mich bedienen. Ein junger Mönch in weißen, wallenden Gewändern liest mir alle Wünsche von den Augen ab: Die Tomatensuppe ist so gut, wie es eine gewöhnliche Tomatensuppe eigentlich gar nicht sein kann, der Kochfisch zergeht auf der Zunge, die Götterspeise ist himmlisch. An den Hund unterm Tisch denkt mein frommer Kellner, beim heiligen Franziskus, ganz von selbst und bringt so viele Knochen und Kartoffelreste, dass Feldmann fast vor dem Futterberg kapituliert hätte.
    Aber mit dem göttliche Mal ist der Service des Mönchs, der sich mit »Frater Ambrosius« vorstellt, noch lange nicht erschöpft. »Kommt ein Wanderer des Wegs, so beherberge ihn wie den Heiland selbst«, zitiert er eine Ordensregel der Zisterzienser und fragt rhetorisch, ob ich nicht ein wenig bleiben wolle, das richtige Wanderwetter sei das ja nun wirklich nicht, außerdem stehe der heilige Sonntag vor der Tür. Etwas Ruhe und innere Einkehr, bis die Sachen wieder trocken sind, können nicht schaden. Fast dankbar greift der Geistliche zum Telefon und regelt meine Unterbringung.
    Die Kammer, in die mich Ambrosius führt, ist karg möbliert, das Bett unterm großen Holzkreuz kaum gefedert und das Waschbecken wenig größer als die Weihwasserschale neben der Tür. Ein bisschen spartanisch für den Heiland, denke ich. Auf körperliche Behaglichkeit wird wenig Wert gelegt, dafür ist für das Seelenwohl gesorgt: Am Schrank, dort, wo in Hotels gewöhnlich die Preisliste hängt, befindet sich eine Liste mit den »Offizien«, den sechs Gebetszeiten: »5.15 Uhr Laudes, 6.15 Uhr Terz, 12.55 Uhr Sext, 15.30 Uhr Vesper, 17.30 Uhr Matutin, 20.00 Uhr Komplet.«
    Kaum habe ich meine nassen Kleider mit der klammen Wechselgarderobe getauscht, meine Haare trockengerieben und im Spiegel einen von asketischer Selbstkasteiung ausgemergelten Jesuiten betrachtet, da ruft mich die Kirchenglocke auch schon zur Komplet. Neugierig folge ich dem hellen Läuten, eile durch den Klosterfriedhof – und entschwebe in eine andere Welt. Erhabene Orgeltöne heben mich schon im Eingang auf die Zehenspitzen und eine Gänsehaut der Ergriffenheit überzieht meinen Rücken. Das fast menschenleere Kirchenschiff liegt im Halbdunkel der Dämmerung, die, von buntem Fensterglas gebrochen, den Raum in ein diffuses, warmes Licht taucht. Der Altar aber ist hell erleuchtet. Vor ihm sitzen sich die Mönche auf doppelreihigem Chorgestühl wie in einem mittelalterlichen Konzil gegenüber und singen ihre schönen Psalmen im sonoren Wechselgesang: »Laudate nomen Domini«, klingt es von der einen Seite, »Laudate servi Dominum«, antwortet sanft die andere. Die Harmonie ist nahezu beängstigend, es gibt nichts, woran sich die Sinne stoßen könnten, nicht einmal der Weihrauch zwickt mir in der Nase, wie sonst in katholischen Kirchen. Licht, Farben, Töne, alles steht vollkommen miteinander in Einklang und fügt sich in die klaren Linien der Kathedrale. Hingegeben sitze ich in einer der vorderen Bänke und genieße das sakrale Schauspiel, denn ist der Bauch gefüllt und das Bett gemacht, erwachen mir wieder die Sinne für das Höhere. »Laudate nomen Domini …«
    Am Ende des Psalms beugen sich alle Brüder nach vorne und blättern raschelnd in ihren dicken Gesangbüchern, was sich anhört, als schreckte ein Schwarm Fledermäuse hoch. Die Geistlichen folgen dabei dem Beispiel eines Mannes mit kurz geschorenem Silberhaar, der vorn rechts in einer besonders schön geschnitzten Sonderloge sitzt, vermutlich der Abt

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