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Der Wächter des Herzens

Der Wächter des Herzens

Titel: Der Wächter des Herzens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Françoise Sagan
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ERSTES KAPITEL
     
    Die Küstenstraße in Santa Monica bei
Hollywood zog sich unerbittlich, schnurgerade unter Pauls dröhnendem Jaguar
dahin. Es war warm, schwül, die Luft roch nach Benzin und Nacht. Paul fuhr mit
hundertfünfzig. Er hatte die zerstreute Miene der Leute, die zu schnell fahren,
und trug wie die großen Rennfahrer Handschuhe mit durchlöcherten Fingern, die
seine Hände abstoßend für mich machten.
    Ich heiße Dorothy Seymour und bin
fünfundvierzig Jahre alt. Meine Züge sind ein wenig ausgemergelt, denn das hat
nichts in meinem Leben ernstlich verhindern können. Ich bin eine recht
erfolgreiche Drehbuchautorin und gefalle den Männern noch sehr, wahrscheinlich,
weil auch sie mir gefallen. Im übrigen bin ich eine der schrecklichen
Ausnahmen, die Hollywood Schande machen: Mit fünfundzwanzig Jahren hatte ich
als Schauspielerin einen hinreißenden Erfolg in einem intellektuellen Film, mit
fünfundzwanzigeinhalb fuhr ich mit einem linksstehenden Maler nach Europa, um
das verdiente Geld zu verjubeln, mit siebenundzwanzig kehrte ich unbekannt,
ohne einen Dollar und mit einigen Prozessen auf dem Hals in meine Geburtsstadt
Hollywood zurück. Da bei mir nichts mehr zu holen war, stellte man die Prozesse
ein und beschloß, mich als Drehbuchautorin zu beschäftigen, denn die Erwähnung
meines ruhmbedeckten Namens machte auf die undankbare Menge keinen Eindruck
mehr. Mir war das eher angenehm, denn die Autogramme, die Fotografen und
Ehrungen hatten mich immer gelangweilt. Bald hieß ich nur noch »Die, die
gekonnt hätte« (Indianerhäuptlinge haben solche Namen). Da ich im übrigen
gesund war und eine fruchtbare Phantasie besaß — beides verdanke ich einem
irischen Großvater —, erwarb ich mir allmählich einen gewissen Ruf, indem ich
Albernheiten in Farbe fabrizierte, die zu meiner großen Überraschung eine Menge
Geld einspielten. Die historischen Filme der RKB, zum Beispiel, erscheinen sehr
oft unter meinem Namen, und in meinen Alpträumen sehe ich manchmal eine tief
gekränkte Kleopatra auf mich zukommen, die mir erklärt: »Nein, Madam, ich werde
zu Cäsar nicht sagen: ›Tritt ein, o Gebieter meines Herzens!‹«
    Der Gebieter meines Herzens oder
jedenfalls meines Körpers sollte in dieser Nacht Paul Brett sein, und ich
gähnte schon im voraus.
    Dabei ist Paul Brett ein sehr schöner
Mann. Er vertritt die Interessen der RKB und mehrerer andrer
Filmgesellschaften. Er ist elegant, angenehm, schön wie ein Gemälde — so schön,
daß sich Pamela Chris und Louella Schrimp, die beiden größten Vamps unserer
Generation, die auf der Leinwand seit zehn Jahren die Bankkonten und die Herzen
der Männer und ihre eigenen Zigarettenspitzen zerknabbern, nacheinander in ihn
vernarrten und in Tränen schwammen, als er sie sitzen ließ. Paul hat mithin
eine ruhmreiche Vergangenheit. Als ich ihn in dieser Nacht betrachtete, war er
für mich trotzdem nur ein blonder Mann. Dazu ein blonder Mann über vierzig. Es
war deprimierend. Aber es war wohl Zeit zu kapitulieren. Nach acht Tagen
Blumen, Telefonanrufen und gemeinsamen Ausgängen muß sich eine Frau in meinen
Jahren wohl oder übel ergeben, jedenfalls hier in unserer Gegend. Der Tag X war
gekommen, wir rasten um zwei Uhr morgens mit hundertfünfzig auf meine
bescheidene Behausung zu, und ich beklagte es dieses eine Mal bitter, daß der
Geschlechtsverkehr in den menschlichen Beziehungen eine so große Rolle spielt.
Ich war schläfrig, aber ich war schon am Abend zuvor und an den drei
vorausgegangenen Abenden schläfrig gewesen und konnte mich darauf nicht mehr
ausreden. Pauls verständnisvolles »gewiß doch, meine Liebe«, würde heute, ich
fühlte es, abgelöst werden durch das unvermeidliche: »Dorothy, was haben Sie
denn? Sie können mir alles sagen...« Daher fiel mir also die angenehme Aufgabe
zu, das Eis aus dem Kühlschrank zu nehmen, die Flasche Scotch zu holen, Paul
ein Glas mit fröhlich klirrenden Eiswürfeln zu reichen und mich schließlich in
reizvoller Pose à la Paulette Goddard auf das große Kanapee im Livingroom zu
legen. Daraufhin würde Paul zu mir kommen und mich umarmen und hinterher mit
bedeutsamem Blick sagen: »Es mußte so kommen, nicht wahr, Liebste?« Ja gewiß,
es mußte so kommen.
    Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und
Paul einen unterdrückten Schrei:
    Im Scheinwerferkegel stürzte ein Mann
auf uns zu wie ein Verrückter oder vielmehr wie eine dieser verrenkten Puppen
aus Stroh, die ich in Frankreich auf den Feldern gesehen

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