Drei Dichter ihres Lebens
zerschmettert. Aber schon diese abgesprengten Tropfen haben die helle und beschwingende Rauschkraft des Geistigen; sie beleben wie guter Champagner den lässigen Schlag des Herzens und erfrischen das dumpfe Lebensgefühl. Seine Psychologie ist nicht Geometrie eines gutgeschulten Gehirns, sondern konzentrierte Essenz eines Daseins: das macht seine Wahrheiten so wahr, seine Einsichten so hellsichtig, seine Erkenntnisse so weltgültig, und vor allem gleichzeitig einmalig und dauerhaft – denn kein Denkfleiß weiß jemals das Lebendige derart vollsinnlich zu fassen wie der unbekümmerte Denkmut einer souveränen Natur. Ideen und Theorien sind wie Schatten des homerischen Hades immer nur lose Schemen, gestaltloser Spiegelschein: erst wenn sie vom Blut eines Menschen getrunken haben, gewinnen sie Stimme und Gestalt und vermögen zur Menschheit zu sprechen.
Selbstdarstellung
Qu'ai-je été? Que suis-je?
Je serais bien embarrassé de le dire.
Für seine erstaunliche Meisterschaft der Selbstdarstellung hat Stendhal keinen andern Lehrmeister als sich selbst gehabt. »Pour connaître l'homme il suffit de s'étudier soi-même: pour connaître les hommes il faut les pratiquer«, sagt er einmal und fügt sofort bei, die Menschen kenne er nur von Büchern her, alle seine Studien habe er einzig an sich selbst unternommen. Immer geht Stendhals Psychologie von ihm selber aus. Immer zielt sie einzig auf ihn selbst zurück. Aber in diesem Weg rund um ein Individuum ist die ganze Seelenweite des Menschlichen umschlossen.
Den ersten Schulgang der Selbstbeobachtung macht Stendhal in seiner Kindheit durch. Verlassen von der frühverstorbenen Mutter, die er leidenschaftlich liebte, sieht er nur Feindliches und Fremdgeistiges rings um sich. Er muß seine Seele verleugnen und verstecken, daß man sie nicht bemerke, und lernt früh mit dieser ständigen Verstellung »die Kunst der Sklaven«, zu lügen. In die Ecke geduckt, nutzt er die Zeit seines Schmollens und Grollens, den Vater, die Tante, den Lehrer
, alle seine Quäler und Herrscher zu belauschen, und der Haß schleift seine Blicke zu grimmiger Schärfe; er wird, ehe in seinem weltlichen und sachlichen Studium, kundig in psychologicis, durch notgedrungene Gegenwehr, durch den Zwang seines Mißverstandenseins.
Der zweite Kursus des so gefährlich Vorgebildeten dauert länger, eigentlich sein ganzes Leben lang: die Liebe, die Frauen
werden seine hohe Schule. Man weiß längst – und er selbst leugnet das melancholische Faktum nicht –, daß Stendhal als Liebhaber kein Heros war, kein Eroberer und am wenigsten der Don Juan, als den er sich gern zu kostümieren pflegte. Mérimée berichtet, Stendhal nie anders als verliebt gesehen zu haben, leider fast immer unglücklich verliebt. »Mon attitude générale était celle d'un amant malheureux« – fast immer hatte ich Unglück in der Liebe, muß er eingestehen und sogar dies, »daß wenig Offiziere der Napoleonischen Armee so wenig Frauen besessen hätten wie er«. Dabei haben ihm sein breitschultriger Vater, seine warmblütige Muttereine sehr drängende Sinnlichkeit vererbt: »un tempérament de feu«, aber wenn auch sein Temperament ungeduldig jede prüft, ob sie für ihn »ayable« sei, blieb Stendhal zeitlebens Liebesritter von ziemlich trauriger Gestalt. Zu Hause, am Schreibtisch, fern vom Schuß exzelliert dieser typische Vorlustgenießer in erotischer Strategik (»loin d'elle il a l'audace et jure de tout oser«), er schreibt in sein Tagebuch bis auf die Stunde rechnerisch genau, wann er seine momentane Göttin zu Fall bringen werde (»In two days I could have her«), aber kaum in ihrer Nähe, wird der Would-be-Casanova sofort zum schüchternen Gymnasiasten; der erste Sturmlauf endet regelmäßig (er gesteht es selbst) mit einer intimen Blamage des Mannes vor der schon nachgiebigen Frau. Er wird »timide et sôt«, wenn seine Galanterie aktiv werden müßte, zynisch, wenn er zärtlich sein sollte, und sentimentalisch in der Sekunde der Attacke, kurzum, er versäumt und verpaßt über Kalkulationen und Unfreiheiten die schönsten Gelegenheiten, und aus Verlegenheit wieder, aus der Angst, sentimental zu scheinen und »d'être dupe«, verbirgt der unzeitgemäße Romantiker seine Zartheit »sous le manteau de hussard«, unter dem Husarenmantel einer lauten, brüsken Grobheit und Kosakendeutlichkeit. Daher seine »fiascos« bei Frauen, diese geheime und schließlich von Freunden ausgeplauderte Verzweiflung seines Lebens.
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