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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Leben lang nichts so zielhaft und planmäßig getrieben wie die Beobachtung seelischer Tatsachen.
    Stendhal hat wie wenige sie gekannt, die magische Psychologenlust: »voluptas psychologica« und beinahe lasterhaft dieser Genießerleidenschaft des Geistmenschen gefrönt; aber wie beredt ist sein feiner Rausch von den Geheimnissen des Herzens, wie leicht, wie herzaufhebend seine Kunst der Psychologie! Aus klugen Nerven nur, aus feinhörigen, klarsichtigen Sinnen schiebt hier
    Neugier ihre Fühler vor und saugt mit einer subtilen Lüsternheit das süße geistige Mark aus den lebendigen Dingen. Nichts braucht dieser elastische Intellekt griffig anzufassen, nie preßt er gewaltsam Phänomene zusammen und bricht ihnen die Knochen, um sie einzurenken in das Prokrustesbett eines Systems; Stendhals Analysen haben das Überraschende und Beglückende jäher Entdeckungen,das Frische und Erfreuliche zufälliger Begegnungen. Seine männische, edelmännische Beutelust ist viel zu stolz, um Erkenntnissen keuchend und schwitzend nachzujagen, sie mit Koppel und Meuten von Argumenten zu Tode zu hetzen; er haßt das unappetitliche Handwerk, die Fakten umständlich zu entweiden und in ihren Eingeweiden als Haruspex zu wühlen: niemals bedarf seine Feinempfindlichkeit, sein Fingerspitzengefühl für ästhetische Werte brutalen gierigen Griffs. Das Arom der Dinge, die schwebende Aura ihrer Essenz, ihre ätherleichte geistige Entstrahlung verrät diesem Gaumengenie schon vollkommen Sinn und Geheimnis ihrer innern Substanz, aus winzigster Regung erkennt er ein Gefühl, aus der Anekdote die Geschichte, aus dem Aphorisma einen Menschen; ihm genügt schon das verschwindendste, das kaum faßbare Detail, das »raccourci«, eine herzblattgroße Wahrnehmung, und er weiß, daß eben diese minimalen Beobachtungen, die »petits faits vrais«, in der Psychologie die entscheidenden sind. »II n'y a d'originalité et de vérité que dans les details«, sagt schon sein Bankier Leuwen, und Stendhal selbst rühmt stolz die Methode eines Zeitalters, »das die Details liebt, und mit Recht«, vorahnend schon das nächste kommende Jahrhundert, das nicht mehr mit leeren und schweren, mit weitmaschigen Hypothesen Psychologie treiben, sondern aus den molekularen Wahrheiten der Zelle und des Bazillus sich den Körper, aus minuziöser Belauschung, aus den Oszillationen und Nervenschwingungen sich seelische Intensitäten errechnen wird. Zur gleichen Stunde, da die Nachfahren Kants, da Schelling, Hegel e tutti quanti auf ihren Kathedern noch taschenspielerisch das ganze Weltall unter ihren Professorenhut zaubern, weiß dieser Einsame schon, daß die Zeit der hochtürmigen Philosophen-Dreadnoughts, der Gigantensysteme, endgültig abgetan ist und nur die Torpedos der unterseeboothaft anschleichenden kleinen Beobachtungen den Ozean des Geistes beherrschen. Aber wie einsam
    treibt er diese kluge Erratekunst inmitten der einseitigen Fachleute und abseitigen Dichter! Wie steht er allein, wie geht er ihnen allen voraus, den biedern und schulkräftigen Seelenforschern von damals, wie läuft er ihnen voraus dadurch, daß er keine mit Bildung vollgepackten Hypothesen am Rücken mitschleppt – »je ne blâme ni approuve, j'observe« –, Erkenntnis treibend alsSpiel, als Sport, nur sich selber zur wissenden Freude! Wie sein Geistbruder Novalis, gleich ihm voran aller Philosophie durch dichterischen Sinn, liebt er nur den »Blütenstaub« der Erkenntnis, diese zufällig hergewehten, aber vom innersten Sinn alles Organischen durchdrungenen Pollen, in denen keimhaft die wurzelausgreifenden weiten Systeme hypothetisch enthalten sind. Immer beschränkt sich Stendhals Beobachtung auf die winzigen, nur mikroskopisch wahrnehmbaren Veränderungen, auf die knappe Sekunde der ersten Kristallisation des Gefühls. Nur dort spürt er lebensnah jene Brautstunde von Leib und Seele, die großspurig die Scholastiker das Welträtsel nennen: gerade im Minimum von Wahrnehmung wittert er das Maximum von Wahrheit. So scheint seine Psychologie vorerst Denkfiligran, eine Kleinkunst, ein Spielen mit Subtilitäten, aber er hat die unerschütterliche (und richtige) Überzeugung, daß die winzigste exakte Wahrnehmung bedeutsamere Einsicht schenkt in die Triebwelt der Gefühle als jede Theorie. »Le cœur se fait moins sentir que comprendre«; die Wissenschaft von der Seele hat keinen andern sichern Zugang ins Dunkel als diese zufällig abgesprengten Wahrnehmungen. »Ii n'y a de sûrement vrai que les

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