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Drei Dichter ihres Lebens

Drei Dichter ihres Lebens

Titel: Drei Dichter ihres Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sich benehmen, er empfand durchaus keine Liebe. In seiner Verlegenheit meinte er, kühn sein zu müssen, und versuchte, sie zu umarmen. ›Pfui‹, sagte sie und stieß ihn zurück. Mit der Abweisung war er sehr zufrieden, beeilte sich, einen Blick um sich zu werfen.« So intellektuell bewußt, so kaltwach denken Stendhals Helden noch inmitten ihrer verwegensten Abenteuer. Und nun lese man den Fortgang der Szene, wie schließlich nach allen Überlegungen inmitten der Erregung, die Hingabe des stolzen Mädchens an den Sekretär ihres Vaters erfolgt. »Es kostete Mathilde eine Anstrengung, ihn zu duzen. Und da dieses Du ohne Zärtlichkeit gesagt war, bereitete es Julien kein Vergnügen; er stellte verwundert fest, daß er noch nichts von Glück empfand. Um dieses Gefühles doch teilhaftig zu werden, nahm er schließlich Zuflucht zur Überlegung: er sah sich in der Gunst eines jungen Mädchens,das sonst nie ohne Einschränkung lobte. Dank dieser Überlegung schaffte er sich ein Glück, das der befriedigten Eitelkeit entsprang.« Dank – »einer Überlegung« also, dank einer »Feststellung«, ganz ohne Zärtlichkeit, ohne jeden hitzigen Elan verführt dieser Zerebralerotiker die romantisch Geliebte, sie wiederum sagt sich unmittelbar apres wörtlich: »Ich muß doch mit ihm sprechen, das gehört sich, man spricht mit seinem Geliebten.« Ward je in solcher Laun' ein Weib gefreit? muß man da mit Shakespeare fragen; hat je vor Stendhal ein Schriftsteller gewagt, derart kaltsinnig in einem Verführungsaugenblick Menschen sich kontrollieren und selbst berechnen zu lassen, und Menschen dazu, die wie alle Stendhalschen Charaktere durchaus keine Fischnaturen sind? Aber hier sind wir schon der innersten Technik seiner psychologischen Darstellungskunst nahe, die selbst die Hitze noch in ihre Wärmegrade zerlegt, das Gefühl in seine Impulse spaltet. Nie betrachtet Stendhal eine Leidenschaft en bloc, sondern immer in ihren Einzelheiten, er verfolgt ihre Kristallisation durch die Lupe, ja sogar durch die Zeitlupe; was im realen Raum als einzige stoßhafte, spasmische Bewegung abrollt, zerteilt sein genialer analytischer Geist in infinitesimal viele Zeitmoleküle, er verlangsamt vor unserem Blick künstlich die psychische Bewegung, um sie uns geistig einsichtiger zu machen. Die Romanhandlung Stendhals spielt also (dies ihre Neuheit!) ausschließlich innerhalb der psychischen und nicht der irdischen Zeit. Mit ihm wendet sich die epische Kunst zum erstenmal (und dies eine Entwicklung vorausahnend) der Erhellung der unbewußten Funktionshandlungen zu; »Le Rouge et le Noir« eröffnet den »roman expérimental«, der später die Seelenwissenschaft der Dichtung endgültig verbrüdert. Manche Passagen in Stendhals Romanen erinnern tatsächlich an die Nüchternheit eines Laboratoriums oder die Kühle eines Schulraums; aber nichtsdestominder ist der passionierte Kunstfuror bei Stendhal genauso schöpferisch wie bei Balzac, nur ins Logische verschlagen, in eine fanatische Klarheitssucht, in einen Willen zum Hellsehertum der Seele. Seine Weltgestaltung ist ihm nur Umweg zur Seelenerfassung, im ganzen rauschenden Weltall fesselt seine hitzige Neugier nichts als die Menschheit und in der Menschheit immer wieder nur der einzige, der ihm unergründliche Mensch, der Mikrokosmos Stendhal. Diesen einen zu ergründen,ist er Dichter geworden, und Gestalter nur, um ihn zu gestalten. Obwohl durch Genie einer der vollkommensten Künstler, hat Stendhal persönlich nie der Kunst gedient; er bedient sich ihrer bloß als des feinsten und geistigsten Instruments, um die Schwingung der Seele zu messen und in Musik zu verwandeln. Nie war sie ihm Ziel, immer nur Weg zu seinem einzigen und ewigen Ziele: zur Entdeckung des Ichs, zur Lust seiner Selbsterkennung.
    De Voluptate Psychologica
     
    Ma véritable passion est celle de connaître et d'éprouver. Elle n'a jamais été satisfaite.
     
    Ein braver Bürger nähert sich einmal in einer Gesellschaft Stendhal und fragt höflich-gesellig den fremden Herrn nach seinem Berufe. Sofort huscht ein maliziöses Lächeln um den Zynikermund, die kleinen Augen funkeln übermütig-frech, und mit gespielter Bescheidenheit antwortet er: »Je suis observateur du cœur humain«, Beobachter des menschlichen Herzens. Eine Ironie gewiß, aus Freude am Bluff einem staunenden Bourgeois zugeblitzt, aber doch mengt sich dieser spaßenden Versteckenspielerei ein gut Stück Aufrichtigkeit bei, denn in Wahrheit hat Stendhal ein ganzes

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