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Drei Irre Unterm Flachdach

Drei Irre Unterm Flachdach

Titel: Drei Irre Unterm Flachdach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastienne Voss
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nicht. Immer nur heiß und kalt, niemals gleichble i bende Wärme, zwölf Jahre lang. Die hektischen Flecken bei »Spaniens Himmel« kamen von meiner permanenten Seele n kneippkur. Später wußte ich es.
    Von den Erwachsenen wurde Gustav behandelt wie ein Irrer. Ausgerechnet von denen, die behaupt e ten, er sei ein Held. Keiner nahm ihn ernst, egal was er sagte. Das machte mich traurig. Und es gab Tage, an denen er völlig verstummte, was am allertraurigsten war. Dann verzog er sich in den Keller und war nicht zu spr e chen, für niemanden. Großmutter und ich gaben uns gegenseitig die Schuld an seiner schlechten La u ne. Eine von uns mußte was falsch gemacht haben, denn kein Mensch ve r schwand einfach wortlos im Keller und kam den ganzen Tag nicht mehr rauf. Dabei hatten wir nichts falsch gemacht. Gar nichts. Großv a ter reagierte sich ab. Der Keller war seine Gummizelle. Er schraubte und sägte und hämmerte da unten wie ein Wilder gegen die Eri n nerung an, damit für ein paar Tage Ruhe war in seinem Kopf. Ein Segen für uns. Nicht auszudenken, was er sonst veranstaltet hätte.
    Abends klagte er über Magenschmerzen, und diesmal waren wir wirklich schuld. Hatte Großmutter die falsche Leberwurst g e kauft, jammerte er und hielt sich den Bauch. Wenn ICH zuviel ungewaschenen Rhabarber gegessen hatte, wand ER sich vor Krämpfen in seinem Sessel. Mit seinen dauernden Mage n schmerzen machte er uns fix und fertig.
    Sein Lieblingsthema war der Kommunismus. Wenn er über die Vorzüge der kommunistischen Gesellschaft sprach, lebte er auf. Mein blasser Opa bekam rote Wangen, und unter seinen dichten Brauen leuchteten die Augen. Sein graues langes Haar blies er sich beim Erzählen dandyhaft aus der Stirn. Der Komm u nismus machte ihn jung. Er sah verwegen aus, wenn er Karl Marx zitierte. Anstatt sich in ihren jugendlichen Gustav stets aufs neue zu verlieben, zog Großmutter einen Flunsch und verdrückte sich in die Küche. Ignoranz, fand ich, war schlimmer als Wide r spruch.
    Natürlich war es nichts Neues, was er da fortwährend salbaderte, sein utop i sches Gefasel hing ihr einfach zum Halse raus. Vermutlich wäre es mir irgen d wann genauso gegangen, aber d a mals fand ich es ungerecht und liebte Opa, der von Marx und einer besseren Welt schwärmte, um so mehr.
    Großvater war belastend, unberechenbar, spontan. Einmal ertappte er mich, wie ich ein Einweckgummi in den Müll warf, a n statt es an den Haken über der Spüle zu hängen. »Hol sofort das Gummi aus dem Eimer, du Kröte!« tobte er hi n ter meinem Rücken. Seitdem hatte ich Angst, Dinge wegzuschmeißen, und sah mich vorher dreimal um, ob der Alte in der Nähe war.
    Er behauptete im Brustton der Überzeugung die absurdesten Sachen: »Die vom Wasserwerk haben uns mal wieder den Keller vollgepumpt!« Da täuschte er sich natürlich. Doch daß man ihn deshalb behandelte wie einen Irren, fand ich auch wi e der nicht richtig. Sicher spielte er nur.
    Wenn er nicht vorhatte, das Haus zu verlassen, lief Großvater den ganzen Tag im Bademantel rum. Der Bademantel war weit und flauschig, mit breiten Umschlägen an den Ä r meln. An die Farbe kann ich mich nicht erinnern. Er erschien mir darin größer, als er war, gewichtig, erhaben, wie ein König beim Lever. Wenn er den Bademantel trug, war mein Respekt vor ihm am grö ß ten.
    In den Garten oder auf die Straße ging er nur mit seiner Baskenmütze. »W e gen Ernst Busch und Spanien!« sagte er und summte »Spaniens Himmel«. Er trug die Mütze immer, auch beim Pfla u menpflücken.
    Eines Tages kam er wutschnaubend ins Haus gestürzt. »Der Reimer wollte mich umbringen!« In den Händen hielt Gustav seine Baskenmütze, die zwei Ei n schusslöcher hatte.
    Wie sich rausstellte, hatte Herr Reimer mit dem Luftgewehr rumgeballert, als Großvater auf der Le i ter stand und Pflaumen pflückte. Die Kugeln hatten nur knapp seinen Kopf verfehlt. Reimer war sofort zu uns rübergekommen. »En t schuldigung! Es war ein Versehen, Herr Voss, ein schreckliches Vers e hen!«
    Großvater aber war von dem Gedanken besessen, daß der Mann ihn habe umbringen wollen, und rief die Polizei. »Nur dieser Baskenmütze ve r danke ich mein Leben, nur ihr! Sie ist im übrigen hinüber!« Das Gewehr wurde beschla g nahmt, Reimer mußte die Baskenmütze ersetzen. Großvater hatte nun zwei Mü t zen, trug aber nach wie vor die alte.
    Obwohl Herr Reimer kein Luftgewehr mehr besaß, fühlte Großvater sich ständig von ihm verfolgt. Angeblich lauerte

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