Vollendung - Thriller
Prolog
» Schüttle ab deinen Schlaf, o Sohn des Jupiters.«
Tommy Campbell, der pfeilschnelle Wide Receiver der Boston Rebels, öffnete die Augen und erwartete, die Endzone vor sich zu sehen. Er hörte den Jubel der Menge, dieses vertraute, lang gezogene Sooooup! von den Rängen, und sein Herz hämmerte; er spürte es beim Laufen in seinen Oberschenkeln pulsieren. Ja, er war sich sicher, dass er den Ball gefangen hatte – seine Fingerspitzen, seine Handflächen kribbelten, ein altbekanntes Gefühl – Touchdown!
Aber als die Schreie seiner Fans rasch verklangen, als eine grelle Lichtkugel aus einem milchigen Schleier heraus vor seinen Augen auftauchte, begriff Tommy Campbell schlagartig, dass er geträumt hatte. Ja, er lag auf dem Rücken, auf einer kalten, stahlharten Oberfläche. Er fühlte sich benommen, betäubt von etwas, aber zugleich voller Energie. Und dieses Licht, das über ihm schwebte, kam ihm bekannt vor.
Aus einem Film? Oder vom Krankenhaus, damals bei der Operation von meinem …
»So ist es gut«, ertönte eine tiefe Stimme zu seiner Rechten. »Komm hervor aus dem Stein.«
»Nicht das Knie wieder, Doc«, sagte Tommy. Seine Kehle war trocken, und die Worte kamen stoßweise als brüchiges Flüstern. »Sagen Sie mir, dass es nicht wieder das Knie ist …«
Keine Antwort, stattdessen ein dumpfes Stechen, ein Ziehen an der Haut seines Unterarms. Sein Herz raste nun – mehr als vor seinem ersten Start als Studienanfänger am Boston College, mehr als vor seinem ersten Einsatz als Einwechselspieler bei den Boston Rebels. Aber das hier war anders. Tommy fühlte sich, als würde ein Kampf in seinem Innern toben: Eine Seite versuchte ihn in seine Träume zurückzuziehen, zu seinem Siebenunddreißigmeter-Touchdown, der den Sieg gegen die Dolphins gebracht hatte; die andere Seite versuchte verzweifelt, ihn zu wecken, ihn in die Realität zurückzuholen – dorthin, wo er jetzt war.
»Wo bin ich?«, flüsterte Tommy. Das Licht über ihm stabilisierte sich zu einem weißen Rechteck – wie eine schwebende Kinoleinwand nur wenige Meter vor seinem Gesicht, deren Ränder sich scharf von der umgebenden Dunkelheit abhoben. Ja, seine Sinne kehrten jetzt rasch wieder, da das Blut schnell durch seine Adern pulsierte, und mit jedem Herzschlag fluteten Erinnerungen zurück.
Er hatte ein Bier auf der Veranda getrunken und auf das Wasser hinausgeschaut – nachdem er sich bei der Siegesfeier am Nachmittag in Boston nur kurz hatte blicken lassen. Er wollte vor dem großen Spiel noch einige Zeit bei seinen Eltern in Watch Hill, Rhode Island, verbringen, bevor er nach Tampa, Florida, fliegen würde, um sich auf den Super Bowl gegen die Giants vorzubereiten. Er war allein gewesen – ja, Vicky ist nicht mehr da, und Mom und Pop waren bereits zu Bett gegangen. Und es war kalt gewesen, der Januarmond war über die kalten Wasser von Foster Cove getänzelt – über jene Wasser, in denen Rhode Islands Lieblingssohn als Junge mit seinem Vater geschwommen war.
»Pop?«, krächzte Tommy. »Bist du da, Pop?«
Dann fiel ihm die Wespe ein – Wespen im Januar? – das Zischen, der scharfe Schmerz, als hätte ihn etwas in den Hals gebissen, direkt über der Schlagader. Tommy Campbell war augenblicklich in die Höhe gefahren, überzeugt, dass er mit dem oberen Ende seiner einen Meter fünfundneunzig großen Gestalt an die niedrige Decke der rundum laufenden Veranda knallen würde. Aber er erinnerte sich an keine Landung auf den Holzplanken, nicht so, wie er sich immer noch an die Landung auf der Fünf-Meter-Linie beim Spiel gegen die Texans in der letzten Saison erinnerte – jene inzwischen berüchtigte Landung, die sie wieder und wieder im Fernsehen gezeigt hatten. Die Landung, bei der er sich das Knie ausgerenkt und die seine Mannschaft die Meisterschaft gekostet hatte, wie die Arschlöcher von der Presse, diese Montagmorgen-Quarterbacks geschrieben hatten.
Aber jetzt spielten sie eine neue Saison, und der durchtrainierte Sechsundzwanzigjährige war rasch genesen. Und seit der Verletzung, die vor nicht einmal einem Jahr seine Karriere zu beenden drohte, hatte Tommy »Soup« Campbell den Rekord für die meisten erhaltenen Pässe in einer Saison gebrochen. Und das trotz seiner persönlichen Probleme, der Trennung von seiner Verlobten – Teufel, in gewisser Weise muss ich Vicky dankbar dafür sein! Nein, der beliebte Wide Receiver war allen widrigen Aussichten zum Trotz mit Macht in die NFL zurückgekehrt und
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