Drei Irre Unterm Flachdach
immer neuen Werken. Der Name Gustav Voss muß für die ostdeutsche Hörfunk- und Th e aterbranche ein Schrecken ohne Ende gewesen sein.
Was war das für eine Welt? Im KZ hatte er Freunde gehabt und ein klares Feindbild. Im KZ hatte er sich zurechtg e funden, hatte er überlebt. Die DDR war eine bittere Enttäuschung. Sie wü r digte nicht den Helden in ihm und auch nicht den Künstler. Keiner machte, was er sagte, nichts dort entsprach seinen Vorste l lungen. Schnell hatte er resigniert, war aus seiner Überzeugung ein Versteckspiel vor der Wir k lichkeit, aus dem Helden ein Verrückter geworden, ein Tyrann. Ein trauriger Tyrann, gefangen in seiner eigenen Welt, dem verzweifelten Gegenen t wurf zur Realität, die mit ihm genausowenig zu tun hatte wie er mit ihr.
Großelternkind
Mutter war knapp über zwanzig, Tänzerin und am Beginn ihrer Karriere, als sie mit mir schwanger wurde. Sie rannte zum Arzt, um mich abtreiben zu lassen, doch der schü t telte den Kopf: »Da haben Sie bei mir kein Glück, junge Frau.« Er zeigte ihr Fotos von ve r stümmelten Gebärmüttern. »Und so sieht das dann aus, wenn sie mit ’nem Flaschenhals da unten rumfummeln!« Irritiert verließ Mutter die Praxis. In ihrer Einzi m mer-Parterrewohnung im dritten Hinterhof beschloß sie, mich doch zu beko m men, todunglücklich. Dank dieses Entschlusses und des Umstands, daß Babette vom Ballett mich nicht verlor, obwohl sie noch bis zum sechsten Monat auf der Bühne rumgesprungen war, kam ich im November 1968 zur Welt.
Daß ich da war, änderte nichts an der Berufsplanung von Mutter und Vater. Beide waren im Tänzerberuf nur mittelmäßig, de s halb wollten sie Lehrer werden. In der Pädagogik, meinten sie, könnten sie es mit dem entsprechenden Ehrgeiz bis ganz nach oben schaffen. Zufällig bot sich eine einmalige Gel e genheit. An der Gitis, einer Eliteun i versität in Moskau, waren zwei Studienplätze für das Fach Ballettpädagogik frei g e worden. Meine jungen Eltern drehten vor Freude eine Pirouette und eilten zum Studium in die Hauptstadt der großen So w jetunion.
Die Frage, was mit mir werden würde, war schnell geklärt. Zum Glück hatte Großvater sein Traumhaus, unseren Amibung a low, fast fertig. Dort sollte ich zusammen mit den Großeltern leben. In der Zwischenzeit kümmerte sich unser Nachbar, Vaters bester Freund, um mich. Onkel Hermann wurde mein Ziehpapa. Er setzte mich in Vaters Wohnung am Hackeschen Markt auf den Topf und fuhr im Sommer mit mir an die Ostsee. Am Tag, wenn Vaters Freund arbeiten mußte, war ich bei dessen Mutter untergebracht. Ich mochte Tante Elvira. Sie hatte ein Aquarium mit einer Saugschmerle, also einem Fisch, der mit dem Maul an der Scheibe klebte, und eine Plastekatze, deren Mittelteil aus einer Ziehharm o nika bestand. Die Katze machte Musik, wenn man sie zusammenquetschte und ause i nanderzog. Sie war mein liebstes Spielzeug.
Tante Elvira hatte einen Strickfimmel. Hosen, Röcke, Kleider, Mützen, Han d schuhe, Westen, Pullover, Socken und sogar Schlüpfer, meine gesamte Kleidung war aus Wolle und kratzte. Die Wollschlüpfer haßte ich, aber sie hielten im Wi n ter schön warm.
Ich hatte ein Dach über dem Kopf, genau genommen drei. Ich hatte Große l tern, einen Ersatzvater, eine Ta gesmutter, eine Plastekatze, die Akkordeon spie l te, und wollene Schlüpfer. Und ich hatte Eltern, die ungestört st u dieren, Wodka trinken und im GUM Mischkakonfekt und Kaviar kaufen konnten. Alle halbe Jahre kamen sie zu Besuch und brachten mir große rosa Haarschleifen aus Dederon mit und einmal eine du n kelblaue Schuluniform, mit der ich in meiner Klasse rumprotzte. Ein Kleid aus Cordsamt, mit Flügelärmeln. Es sah to d schick aus und kratzte nicht.
Nach fünf Jahren – ich lebte mit den Großeltern schon lange im neuen Haus in Blankenburg – kamen Mutter und Vater aus Mo s kau zurück. Sie hatten mir die ganze Zeit gefehlt, aber nun störten sie. Dauernd mischten sie sich in Angel e genheiten, die ich allein mit Großvater und Großmutter ger e gelt hatte.
So blieb ich das Großelternkind, trotz hartnäckiger Versuche des frisch geb a ckenen Pädagogenpaares, Einfluß auf meine Erzi e hung zu nehmen.
Mutter und Vater sahen wohl, daß in ihrer Abwesenheit einiges schiefgega n gen war, konnten aber kaum was korrigieren. Ich hatte den Eigensinn von Gro ß vater und die Renitenz von Großmutter; zu dritt, waren wir uns erst mal einig, bildeten wir eine uneinneh m bare Festung.
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