Drei Männer im Schnee
Hagedorn und lachte gutmütig. »Meine Mutter behauptet, Besitz sei häufig nichts anderes als ein Geschenk der Vorsehung an diejenigen, die im übrigen schlecht weggekommen sind.«
»Das wäre allzu gerecht«, erklärte Schulze. »Und allzu einfach.«
Dann wanderten sie, in beträchtliche Gespräche vertieft, nach Schloß Kerms hinaus, sahen den Bauern beim Eisschießen zu, folgten quellwärts einem zugefrorenen Gebirgsbach, mußten steil bergan klettern, glitten aus, schimpften, lachten, atmeten schwer, schwiegen, kamen durch weiße Wälder und entfernten sich mit jedem Schritt mehr von allem, was an den letzten Schöpfungstag erinnert.
Schließlich war die Welt zu Ende. Es gab keinen Ausweg. Hohe Felswände behoben den letzten Zweifel. Dahinter befand sich, sozusagen offensichtlich, das leere Nichts. Und von einem dieser Felsen stürzte ein Wasserfall herab. Nein, er stürzte nicht. Der Frost hatte ihn mit beiden Armen im Sturz aufgehalten. Er war vor Schreck erstarrt. Das Wasser hatte sich in Kristall verwandelt. »Im Baedeker vergleicht man diesen Wasserfall mit einemKronleuchter«, bemerkte Hagedorn. Schulze setzte sich auf eine eisgekühlte Baumwurzel und sagte: »Ein Glück, daß die Natur nicht lesen kann.«
Nach dem Kaffeetrinken ging Hagedorn auf sein Zimmer. Schulze versprach, bald nachzukommen. Wegen der kleinen Katzen und wegen eines großen Kognaks. Aber als er aus dem Lesesaal trat und auf die Treppe zu steuerte, wurde er von Onkel Polter gestört.
»Sie sehen aus, als ob Sie sich langweilen«, meinte der Portier.
»Machen Sie sich meinetwegen kein Kopfzerbrechen!« bat Schulze.
»Ich langweile mich niemals.« Er wollte gehen.
Onkel Polter tippte ihm auf die Schulter. »Hier ist eine Liste! Den Rucksack bekommen Sie in der Küche.«
»Ich brauche keinen Rucksack«, meinte Schulze.
»Sagen Sie das nicht!« erklärte der Portier und lächelte grimmig.
»Das Kind der Botenfrau hat die Masern.«
»Gute Besserung! Aber was hat das arme Kind in dem Rucksack zu suchen, den ich in der Küche holen soll?«
Der Portier schwieg und legte Briefe und Zeitungen in verschiedene Schlüsselfächer.
Schulze betrachtete die Liste, die vor ihm lag, und las staunend:
100 Karton Wolkenstein-Panorama à 15
2 Tuben Gummiarabikum
1 Rolle dunkelrote Nähseide
50 Briefmarken à 25
3 Dutzendpackungen Rasierklingen
2 Meter schmales weißes Gummiband
5 Riegel Wasserglasseife
1 Packung Pyramidon, große Tabl.
1 Flasche Füllfedertinte
1 Paar Sockenhalter, schwarz
1 Paar Schuhspanner, Größe 37
1 Tüte Pfefferminztee
1 Stahlbürste für Wildlederschuhe
3 Schachteln Mentholdragees
1 Hundeleine, grün, Lack
4 Uhrreparaturen abholen
1 Dutzend Schneebrillen
1 kl. Flasche Birkenwasser
1 Aluminiumbrotkapsel für Touren.
Die Liste war keineswegs zu Ende. Aber Schulze hatte fürs erste genug. Er sah erschöpft hoch, lachte und sagte: »Ach, so ist das gemeint!«
Der Portier legte einige Geldscheine auf den Tisch. »Schreiben Sie hinter jeden Posten den Preis. Am Abend rechnen wir ab.«
Schulze steckte die Liste und das Geld ein. »Wo soll ich das Zeug holen?«
»Im Dorf«, befahl Onkel Polter. »In der Apotheke, beim Friseur, auf der Post, beim Uhrmacher, in der Drogerie, beim Kurzwarenhändler, im Schreibwarengeschäft. Beeilen Sie sich!«
Der andere zündete sich eine Zigarre an und sagte, während er sie in Zug brachte: »Ich hoffe, es hier noch weit zu bringen. Daß ich jemals Botenfrau würde, hätte ich noch vor einer Woche für ausgeschlossen gehalten.« Er nickte dem Portier freundlich zu.
»Hoffentlich bilden Sie sich nicht ein, daß Sie mich auf diese Weise vor der Zeit aus Ihrem Hotel hinausgraulen.« Onkel Polter antwortete nicht.
»Darf man schon wissen, was Sie morgen mit mir vorhaben?« fragte Schulze. »Wenn es Ihnen recht ist – ich möchte für mein Leben gern einmal Schornstein fegen! Wäre es Ihnen möglich zu veranlassen, daß der Schornsteinfeger morgen Zahnschmerzen kriegt?«
Er ging strahlend seiner Wege. Onkel Polter nagte über eine Stunde an der Unterlippe. Später fand er keine Zeit mehr dazu. Die Gäste kehrten in Scharen von den Skiwiesen und von Ausflügen heim.
Schließlich kam sogar der Hoteldirektor Kühne nach Hause. »Was ist denn mit Ihnen los?« fragte er besorgt. »Haben Sie die Gelbsucht?«
»Noch nicht«, sagte der Portier. »Aber es kann noch werden. Dieser Schulze benimmt sich unmöglich. Er wird immer unverschämter.«
»Streikt er?« fragte
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