Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
Geschirr, den Kräutern und Gewürzen, der wohlgefüllten Speisekammer. Hier hat sie, die Tochter eines Kochs, das erste Mal ihren Verwandten gezeigt, was sie konnte, hat damit bewiesen, dass sie zu den Laskers gehört.
Denn es gibt »Erkennungszeichen«, Dinge, die in dieser Familie von Generation zu Generation weitervererbt werden. Selbst wenn die Einzelnen – so wie Leonies Vater – keinerlei Verbindung mehr zu ihren Wurzeln haben, wenn sie mit Absicht alles gekappt haben, was sie an ihren jüdischen Ursprung erinnert: Diese Dinge gehen nicht verloren. Das weiß Leonie jetzt. Dazu gehört, wie man kocht. Welche Gewürze man verwendet, und vor allem die Kenntnis einer gewissen geheimen Gewürzmischung, die im Ladino, der jahrhundertealten Sprache der spanischen Juden, der Sepharden, »Fuego y sapor« – Feuer und Duft, genannt wird. Ihr Vater verwendete sie, diese Mischung, genauso wie Isabelle. Und genauso wie Isabelle summte er in seiner Küche die alten jüdischen Lieder, auch wenn er ihren Text nicht mehr kannte und sie ohnehin nicht verstehen würde, denn sie sind ebenfalls auf Ladino. Erst hier auf Hermeneau und dann später in der Küche ihrer Verwandten in Berlin, den Laskarows, hat sie auch die Worte gelernt, die frohen und die traurigen. Das eine Lied, »Avram avinu«, in dem die Geburt des Erzvaters Abrahambesungen wird, und das andere: »Mit erbittertem Eifer verfolgen sie uns«. Ein Lied aus den Tagen der Inquisition in Spanien ...
Mit der Zubereitung von ein paar Meerbarben und mit ihrem Wissen um die altererbten Rezepte und die Lieder ist sie bei ihrem ersten »Küchenbesuch« hier angetreten.
Nun ist sie wieder in diesem Raum – und bleibt wie angewurzelt stehen. Hat es einen Ruck gegeben, ist die Zeit zurückgeschnellt?
Das hat sie schon einmal erlebt.
Genau wie damals steht Isabelle an dem großen Tisch und kehrt ihr den Rücken zu. Über ihren schmalen Schultern kreuzen sich zwei weiße Schürzenbänder, ihr Haar ist von einem Tuch bedeckt und genau wie damals knetet sie einen Teig.
Am liebsten hätte Leonie die Tür schnell wieder von außen zugemacht. Ihr ist, als sollte alles noch einmal von vorn anfangen...
Doch dann geht sie – genau wie damals – um den Tisch herum und grüßt Isabelle, deren Arme bis zu den Ellenbogen voller Mehl sind und die sich nun eine schwarzsilbrige lockige Haarsträhne mit einer Bewegung des Oberarms aus der Stirn streicht.
»Bonjour, chérie!«, grüßt sie freundlich.
Leonie starrt sie an. »Ist denn Sabbat, dass du Challoth bäckst?«, fragt sie beklommen. Challoth, die Mohnzöpfe mit Anis, die Isabelle damals geknetet hat für den festlichen Abend, mit dem der Sabbat beginnt – eine Zeremonie, die sie erst hier auf Hermeneau kennenlernte. Das feierliche Mahl, mit dem Juden überall in der Welt den allwöchentlichen Feiertag begrüßen ...
Isabelle schüttelt den Kopf und das Haar rutscht ihr wieder über die Augen. »Das werden keine Challoth, bloß ein ganz gewöhnliches Weizenbrot, zur Feier des Tages nicht vom Bäcker aus dem Ort, sondern ganz frisch und warm aus dem Ofen.«
»Was gibt es denn zu feiern?«, fragt Leonie, und sie merkt, dass sie fast feindselig klingt. Bitte sag nicht, meine Rückkehr! Bitte sag nicht, dass ich das Zeichen gebracht habe! Wenn du das feiern willst, dann feiere allein. Mir ist nicht danach.
Die alte Frau lächelt. »Du hast wohl ganz vergessen, dass es so etwas wie einen Kalender gibt?«, fragt sie und legt den Kopf schief. »Heute ist der letzte Tag des alten Jahres. Wir wollen abends zusammensitzen und das neue Jahr begrüßen. Deshalb backe ich.«
Silvester also? Neujahr? 1924? Leonie sieht vor sich hin. Isabelle hat recht. Sie hat wirklich Tag und Woche vergessen. Als sie nach Schlomos Ermordung, betäubt vom Schmerz, allein durch Berlins Straßen lief, da muss es wohl irgendwann Weihnachten gewesen sein, nach den Lichtern und dem Glockengedröhn und dem Singen überall, aber sie war so eingeschlossen in ihrer harten engen Hülle, ihrer Versteinerung, dass sie das alles nur wahrnahm wie aus einer anderen Welt.
Der letzte Tag des alten Jahres? Der letzte Tag dieses Jahres? Merkwürdig, dass so ein Jahr endet ...
Isabelle spricht weiter. »Ich mache einen Salat aus Meeresfrüchten nachher. Hast du Lust, mir zu helfen?«
Es ist wohltuend, dass sie so ruhig und selbstverständlich mit ihr redet, sie nicht behandelt, als müsse man sie schonen. Sie geht zu Isabelle, und wie beim letzten Mal, als sie mit ihr
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