Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
erwidert Isabelle. »Das wissen wir. Aber es wird weitergehen. Con el pie derecho y al nombre del Dio.«
Leonie sieht sie an, aber sie sieht sie nicht, ihr Blick geht durch sie hindurch. Nein, ein Lied ist das nicht. Con el pie derecho ... Mit dem rechten Fuß voran und im Namen Gottes. Das ist – das ist das Familienmotto der Laskers.
Nein. Das konnte Isabelle ja nicht wissen. Sie konnte nichtwissen, dass es Schlomos letzte Worte waren, als er blutend an der Erde lag. Sonst hätte sie es jetzt bestimmt nicht ...
Ein feines Knirschen. Dann ist es warm und feucht an Leonies rechter Hand. Sie lässt ihren Blick aus dem Nichts zurückkehren und betrachtet ihre Finger. Das Blut strömt. Sie hat das schöne Glas in ihrer Hand zerdrückt.
Isabelle und Gaston starren sie an. Sie sitzen wie gelähmt.
»Entschuldigung«, sagt Leonie leise und sieht auf die großen dunklen Blutstropfen, die sich auf dem weißen Tischtuch zu einer Lache vereinen. »Das ist aus Versehen passiert!«
Sie hält das Glas immer noch fest.
Endlich kommt Leben in das Paar. Beide flattern sie gleichsam auf, stürzen irgendwohin, kommen wieder, bringen Wasser, Handtücher, Verbandszeug. Keiner sagt ein Wort. Vorsichtig öffnet Gaston Leonies verkrampfte Hand, löst die Reste des Glases aus ihren Fingern, hält sie am Gelenk fest, während Isabelle mit den Tüchern hantiert, das strömende Blut auffängt.
Blut, alles voll Blut. Con el pie derecho ... Er ist tot. Er ist einfach tot.
»Pinzette!« Das ist das Erste, was die alte Frau sagt. Gaston eilt los, kommt mit einem Etui wieder, das sonst wohl für die Maniküre da ist. Seine Hände zittern.
»Lass mich das machen«, sagt Isabelle sachlich und halblaut. »Halt sie nur fest. Und tupf das Blut weg, damit ich sehen kann.«
Isabelle zieht mit sicherem Griff drei, vier kleine Glassplitter aus der Maus des Handtellers und aus der feinen Verbindungshaut zwischen Daumen und Zeigefinger. Beginnt dann, einen Verband anzulegen.
Gleichsam träumerisch sieht Leonie zu – als wäre es gar nicht ihre eigene Hand. Sie rührt sich nicht.
»Beweg die Finger!«, befiehlt Isabelle, und sie gehorcht. Alles funktioniert. Und alles fängt gerade an, wehzutun. Wunderbar weh. Ein schöner, handfester körperlicher Schmerz.
»Ich hoffe, jetzt habe ich euch nicht diesen Silvesterabend verdorben!«, sagt sie leicht verlegen; es ist nur eine höfliche Floskel. Die beiden antworten nicht.
Dann wendet sich Isabelle ab, geht mit schnellen Schritten nach draußen, kommt mit einer braunen Flasche zurück und schüttet eine unbestimmte Anzahl von Tropfen in ihr eigenes Glas. Hält es der jungen Frau an die Lippen. »Trink das!«
Leonie schluckt, es ist bitter. Sie sieht, dass sich Isabelle selbst noch einmal fast die gleiche Dosis verpasst. »Belle!«, mahnt Gaston leise.
Isabelle zuckt die Schultern.
»Was war das?«
»Es macht uns ruhiger.«
»Aber ich bin ganz ruhig!«, erklärt Leonie. »Es tut mir leid um das schöne Glas. Ich weiß wirklich nicht .., ich habe nicht geahnt, dass es so zerbrechlich ist.« Sie steht auf. »Ich denke, ich gehe besser in mein Zimmer«, sagt sie entschuldigend. »Ich will euch an diesem Abend nicht weiter stören.«
Gaston macht eine Bewegung, als wolle er sie aufhalten, aber Isabelle schüttelt den Kopf. »Geh nur, Schätzchen«, sagt sie. »Ruh dich aus.«
»Ja, dann .., ein gutes neues Jahr!« Leonie lächelt. Es macht ihr nichts, dass dies Lächeln nicht erwidert wird. Sie geht und trägt ihre dick verbundene Hand vor sich her wie eine Trophäe.
Hat sie geschlafen? Ja, sie muss wohl geschlafen haben, ist weggedämmert trotz des beißenden Schmerzes; ob das an Isabelles braunen Tropfen lag oder vom plötzlichen Erschlaffen all ihrer Lebensgeister, nachdem sie das Blut fließen sah, das weiß sie nicht.
Ihr Herz hämmert zum Zerspringen. Da draußen geschieht etwas. Durch die geschlossenen Vorhänge ihres Zimmers flackert Feuerschein. Es – es brennt! Gütiger Gott! Nicht schon wieder! Keine Gesichte, bitte nicht! Nicht wie damals in Berlin, kurz vorm Ende, als sie nachts hochschreckte in der Wohnung der Laskarows ..,
Flammen! Brandgeruch, Rauch.
Ich schreie gellend im Dunkeln. Schlomo neben mir fährt auf ... »Riechst du es nicht? Hörst du es nicht? Alles vergeht im Feuer!« Ich keuche vor Angst.
Es ist nichts, nichts ist da ...
Sie springt auf, rast zum Fenster, reißt den Stoff beiseite.
Nein, kein Flammenschein. Kein Brandgeruch, kein Knistern. Es ist alles –
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