Drei Zeichen sind die Wahrheit - Band 2
ganz real. Ganz erklärbar. Es ist Silvester. Unten in Cerbère begrüßt man das neue Jahr mit Feuerwerk ...
Sie versucht zu lachen über ihre Schreckhaftigkeit. Kriegt nur ein trockenes Husten heraus.
Und dann merkt sie, wie sie da an diesem Fenster steht und auf die bunten Raketen schaut, die zwischen den Bergen aufsteigen wie aus einem Kessel, und so sehr zittert, dass sie sich am Vorhang festhalten muss. Zittern wie Espenlaub, heißt es nicht so? Und der Schmerz aus ihrer Hand steigt jetzt den Arm hoch bis in die Schulter, beißend, als würde man ihr einen kalten Stahl durch die Adern jagen. (Sie dachte immer, Zähneklappern sei nur so ein sprachliches Bild. Aber jetzt schnattert sie wirklich und wahrhaftig mit den Zähnen.)
Sie möchte diesen Vorhang loslassen und die gesunde Hand gegen den Mund pressen, vielleicht in den Handballen beißen, wie man in einen Knebel beißt, um den Schrei zu unterdrücken, aber sie kann dieses Stück Stoff nicht loslassen. Sie fühlt, dann würde sie stürzen. Sie ist wie gelähmt.
Ich bewege mich am Abgrund ...
Ihr Blick fällt hinunter auf den Hof des Schlosses. Dort stehen Gaston und Isabelle in ihren Mänteln, sind hinausgegangen, halten ihre Gläser in der Hand und schauen in den nächtlichen Himmel und sehen sich die bunten Garben des fernen Feuerwerks an. Gewiss werden sie an sie denken, an Leonie, und das, was sie im neuen Jahr vollbringen soll.
Sie findet endlich die Kraft, den Vorhang loszulassen, und taumelt ins Zimmer. Reißt die seidene Steppdecke vom Bett, schlägt sie sich um die Schultern, und barfuß, wie sie ist, läuft sie hinaus, fühlt die Kälte der Marmorstufen unter ihren Füßen, durch die Halle, hinaus auf den Hof, wie kann es denn so kalt sein hier im Süden – wie sehr sie zittert, wie weh ihre Hand tut!
Sie stürzt auf die beiden zu, zögert einen Augenblick vor Isabelleshoch aufgerichteter Gestalt, dreht sich dann zu Gaston um und wirft sich ihm in die Arme.
»Ich kann nicht!«, sagt sie leise. »Ich kann jetzt nicht nach Wien fahren. Kann nicht das Zeichen suchen. Ich bin – ich bin gar nicht mehr ich.«
»Das wissen wir, Liebes«, sagt Gaston leise. »Erst einmal musst du gesund werden.«
7
Ich zerfließe. Ich heule oder schluchze nicht. Aus mir laufen die Tränen nur so heraus, als wenn ich mich auflösen wollte. Ich kann nichts dagegen tun. Es ist, will ich denken, weil die zerschnittene Hand so schmerzt.
Sie haben mich in dem Salon mit den zarten grünen Vorhängen und den sanft schimmernden Glaslampen auf das Sofa mit dem bunten Bezug gebettet und mich in meine Steppdecke eingewickelt wie einen Säugling. Gaston sitzt vor mir und hält meine gesunde Hand, Isabelle streichelt mir das Haar und trocknet mir von Zeit zu Zeit die Wangen mit einem linden weißen Tuch, und ich weine immer weiter, als wenn Eis schmilzt in mir.
»Wenn du es nicht selbst gemerkt hättest, dass du jetzt nicht fortkannst ...«, sagt Isabelle, »also, wir waren gerade dabei, dich mit ei ner Notlüge hier festzuhalten. Gaston ist auf der Post gewesen und hat Felice Lascari in Wien telegrafisch mitgeteilt, dass du noch nicht bereit bist, dich unterrichten zu lassen – unter irgendeinem Vorwand. Nicht vor dem Frühling. Bestimmt kommt ihre Antwort morgen oder übermorgen, sicher wird sie das akzep tieren. Wir werden sehen, du musst dir deshalb keine Sorgen machen.«
Wegen so eines Tricks hätte ich mich sonst ganz sicher aufgeregt. Ich mag nicht an der Nase herumgeführt werden. Aber jetzt, wo ich hier liege als ein Häufchen Elend, jetzt empfinde ich diese Sache nur als ein Zeichen ihrer Fürsorge und ihrer Angst um mich.
»Aber was soll ich denn bis zum Frühling machen?«, frage ich mit schwacher Stimme.
Isabelle tupft mir nun die Augenlider ab. »Einfach dich selbst wiederfinden«, sagt sie. »Hier hast du Ruhe und Frieden, wir lassendich ganz das tun, was du möchtest. Da sind unsere Bücher, da ist mein Boudoir, wo du mich besuchen kannst und Fragen stellen, wenn du je dazu Lust haben solltest. Und da sind die Berge und das Meer. Du weißt es doch vom vorigen Sommer: Nicht immer wird es so grau und trist sein wie in den letzten Tagen ... Kannst du schon aufhören mit Weinen?«
»Nein«, erwidere ich. »Stört es euch sehr?«
Gaston lacht ein bisschen. »Auf uns kommt es jetzt wirklich nicht an, Kind!«
Dann gibt mir Isabelle noch mehr von den Tropfen aus der braunen Flasche (»Ein Kräutergebräu, nur aus Pflanzen!«) und Gaston hindert sie
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