Drei Zeichen sind ein Wort - Band 1
Salon mit seiner Mutter debattieren, während ich mit dem anderen unversehrten Arm die Suppe vom Fußboden wische. Als ich mich wieder zum Wasserhahn begebe, auch, um die verbrannte Stelle zu kühlen, stelle ich fest: Es wird tatsächlich keine Blase. Nur eine kleine Rötung und es tut kaum weh.
Und dann kommt Schlomo, lehnt sich an den Türpfosten und verschränkt die Arme, betrachtet mich mit hochgerecktem Kinn, wie damals auf dem Gang vor der Garderobe in den Sophien-Sälen, als er mich zum ersten Mal sah. »So!«, sagt er. »Es ist beschlossene Sache. Mame sagt, man muss dich aufmuntern.«
»Aufmuntern?«, frage ich leise vom Spülbecken her und drehe den Wasserhahn zu. (Er scheint zu ahnen, dass irgendetwas nicht stimmt, so zerfahren, wie ich bin.) »Und was hast du da vor?«
»Ich führe dich aus. Wir gehen tanzen!«, erwidert er triumphierend.
Ich ziehe vor Überraschung die Luft ein. »Tanzen?«, sage ich und dehne das Wort. Mir ist nach Tanzen wirklich nicht zumute. Und überhaupt ... »Das sagt deine Mutter?«, frage ich misstrauisch. »Dass du mit mir tanzen gehen sollst?«
»So direkt hat sie es nicht gesagt«, entgegnet er und betrachtet unschuldsvoll seine Fingernägel. »Aber ich hab sie drauf gebracht. Es ist doch auch zu ihrem Vorteil.«
»Wieso denn das?« (Die ganze Sache kommt mir irgendwie absurd vor. Sie will doch nicht, dass Schlomo und ich ...)
»Na, das ist doch klar wie die Sonne!«, gibt er zurück. »Was hat sie denn von einem Mädchen, das ihr das Kristall zerschlägt und sich selbst am Feuer röstet?«
Er gönnt mir einen schrägen Blick und vertieft sich weiter ernsthaft in die Betrachtung seiner Fingernägel.
»Und wenn du mit mir tanzen gehst, dann bessert sich also schlagartig meine Stimmung?«, bohre ich weiter.
»Ja, natürlich!«, erwidert er mit aller ihm zur Verfügung stehenden »Chuzpe« (langsam steige ich in diesen Wortschatz ein).
Mit Schlomo Laskarow tanzen gehen ... Ich wäre nie auf so etwas gekommen. Aber nun erscheint es mir sofort als eine sehr erstrebenswerte Sache. »Wie hast du sie dazu gebracht, dass sie einverstanden ist?«, frage ich halblaut; sie könnte ja in der Nähe sein. Betrachte meinen geröteten Arm. Wirklich nicht so schlimm.
»Na, wie wohl!«, sagt er. Und fährt in gestelztem Hochdeutsch fort: »Natürlich musste ich ihr fest versprechen, die Grenzen des Schicklichen nicht zu überschreiten.« Dann sachlich: »Also morgen Abend, am Sabbat (ich meine, diesmal ist es für uns beide einfach Samstag), wo keine Vorstellung ist. Hast du ein schönes Kleid? Aber zieh bitte flache Schuhe an. Ich hab’s nicht gern, wenn meine Partnerin größer ist als ich. Eigentlich müsste ich dich ja abholen. Aber vielleicht ist es nicht so besonders schlau, bei dir zu Hause aufzutauchen. Wir treffen uns um acht Uhr am Bahnhof Friedrichstraße. Ich lass dich nicht warten.«
Und draußen ist er.
Hat er mich eigentlich gefragt, ob ich einverstanden bin? Natürlich nicht.
Eine verrückte Idee. Tanzen als Heilmittel gegen meine Art von Kummer...? Aber mit ihm tanzen? Und was sind eigentlich »die Grenzen des Schicklichen«?
Das meergrüne Seidenkleid, das sie bisher ein einziges Mal getragen hat, in Hermeneau, was anderes kommt ohnehin nicht infrage. Mit den Schuhen, das ist ein Problem. Die Spangenschuhe haben Absätze. Aber sie findet noch ein Paar flache Trittchen, die sie schon längst ausrangiert hatte, weil sie zu leicht sind.
Was sie bitter bereut, sobald sie aus dem Haus ist. Es kommt ihr vor, als würde sie jeden Stein unter den Sohlen spüren. Und außerdem ist es ja viel zu kalt für die Jahreszeit.
Ausgerechnet heute muss das Wetter umschlagen. Auf einmal saust das Thermometer nach unten.
Und so steht sie nun, den dünnen Mantel bis zum Hals zugeknöpft, frierend und mit kalten Füßen am Bahnhof Friedrichstraße unter einer Laterne. Um sie herum braust die Berliner Nacht mit klingelnden Straßenbahnen, hupenden Autos, schreienden Zeitungsjungen, Taxen, denen Paare entsteigen. Schrill lachende Frauen mit wild geschwungenen Federhüten auf dem Kopf werden begleitet von fetten alten Kerlen mit gewichstem Schnurrbart und Zwicker auf der Nase. Bettler strecken ihr aufdringlich die Hand hin. Ihr ist, als wenn sich alles um sie drehen würde, nur sie steht still. Die Lichtreklame des Kinos unter den S-Bahn-Bögen blinkt rhythmisch.
Fünf Minuten. Zehn Minuten nach der Bahnhofsuhr. Nein. Jetzt geht sie.
»Leonie!«
Da ist er.
Er trägt ein
Weitere Kostenlose Bücher