Dreikönigsmord (German Edition)
kunstvoll gefasste Diamanten funkelten in allen Regenbogenfarben.
»Oh …« Jo schnappte nach Luft und blinzelte.
»Jo …« Friedhelm blickte sie erwartungsvoll an.
»Oh, ich fühle mich geehrt. Wirklich … Aber …« Jo sprang auf. »Es tut mir leid. Ich muss ganz dringend zur Toilette … Ich bin gleich wieder da.« Sie sprang auf und hastete blindlings davon.
Was war nur mit ihr los? Da bekam sie zum ersten Mal in ihrem Leben einen formvollendeten Heiratsantrag und ihr fiel nichts anderes ein, als die Flucht zu ergreifen?
Jo bemerkte, dass sie außen am Restaurant vorbeigerannt war und mitten auf dem Klosterhof stand. Nicht weit entfernt von ihr befand sich die Kirche. Einer der Türflügel stand offen. Während ihres Traums hatte sie sich nie in der Kirche aufgehalten. Dort würde sie also nicht von halluzinatorischen Erinnerungen heimgesucht werden. Um sich wieder etwas zu sammeln, trat sie durch das Portal. Im Inneren empfing sie angenehm kühle Luft.
Langsam schritt Jo durch eines der Seitenschiffe. Nur, um plötzlich wie angewurzelt stehen zu bleiben. Ein herzförmiges Gesicht, von langen lockigen Haaren umrahmt, so wie sie es gelegentlich in einem glänzend polierten Bronzespiegel gesehen hatte, blickte ihr entgegen. Das Gesicht Josephas … Jo schluckte nervös. Dann erst bemerkte sie, dass das Gesicht nicht lebendig, sondern aus Stein gehauen war und zu einer etwa anderthalb Meter großen Statue gehörte. Ihre Einbildung und das Licht der Kerzen, die auf Haltern davor brannten, hatten sie genarrt.
Neben der Statue war eine kleine Tafel an der Wand befestigt. Verwirrt nahm Jo Bruchstücke des Textes wahr. »Marienstatue. Frühe Blüte der hochmittelalterlichen Bildhauerkunst. Mögliches Porträt einer reichen Ebersheimerin. Eventuell einem Bildhauer namens Meister Mattis zuzuordnen. Galt seit den letzten Kriegsmonaten als verschollen. Vor zwei Jahren im Magazin eines amerikanischen Museums aufgetaucht. Sorgfältig restauriert. An Ostern 2013 im Rahmen eines feierlichen Gottesdienstes wieder in die Kirche zurückgebracht.«
»Ja, das bist du. Ich meine, das ist Josepha Weber aus dem Mittelalter«, hörte Jo eine vertraute Stimme sagen. Sie wirbelte herum. Tatsächlich – Lutz Jäger stand vor ihr. Auch er hatte während der langen Genesungszeit abgenommen und sich so ein wenig von seinem piratenhaften Aussehen bewahrt. Der an sich positive Effekt wurde jedoch von seinem Hawaiihemd in schreienden Farben und den Cowboy-Stiefeln, die er selbst an einem warmen Sommerabend zu seinen Jeans trug, wieder zunichtegemacht. Außerdem – verbesserte sich Jo in Gedanken – hat der piratenhafte Lutz Jäger ohnehin nur in meiner Fantasie existiert.
»Was machen Sie denn hier?«, fuhr sie ihn unfreundlicher an, als sie beabsichtigt hatte.
»Na ja, anscheinend das Gleiche wie du.« Er zuckte mit den Schultern. »Vor meinem Dienstantritt mit dem Unfall und unserem Ausflug ins Mittelalter abschließen.«
Jo starrte ihn an. Seine Miene wirkte völlig ernst. »Es gab niemals einen Ausflug ins Mittelalter«, erklärte sie schließlich fest. »Das waren alles nur Komafantasien. Also ich meine, ich hatte diese Komafantasien …«
»Ach, dich hat also auch so ein Psycho-Fritze bearbeitet.« Lutz grinste und vollführte eine wegwerfende Handbewegung.
»Seit wann sind wir eigentlich per Du?«, brachte Jo mühsam heraus.
Eine ältere Dame mit onduliertem grauem Haar, deren Schärpe sie als Aufsicht auswies, eilte auf sie zu. »Entschuldigen Sie, aber Sie befinden sich in einem Gotteshaus«, zischte sie. »Würden Sie bitte Ihre Stimmen senken oder sich woanders weiter unterhalten?«
»Ja, wir sollten besser nach draußen gehen.« Lutz nickte Jo zu. Widerstrebend folgte sie ihm durch eine Seitentür aus der Kirche und in den Kräutergarten, wo sie sich in einigem Abstand zu ihm auf einer Bank niederließ. Der Brunnen am Schnittpunkt der vier kiesbestreuten Wege gluckerte vor sich hin. Jo registrierte erleichtert, dass der Stein verwittert war.
»Mein Psychiater hieß Stefan Bender«, nahm Lutz das Gespräch wieder auf. »So ein glatter Mittdreißiger. Sehr empathisch und verständnisvoll. Hat ständig gelächelt …« Er verzog angewidert das Gesicht.
Auch Clemens Meyerhoff hatte ständig gelächelt. Zumindest war es Jo so vorgekommen.
»Na ja, ich wollte nicht in der Klapse landen, sondern in den Polizeidienst zurückkehren«, sprach Lutz weiter, »deshalb habe ich sein Spiel mitgespielt und ihm zugestimmt, ich
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