Dreimond - Das verlorene Rudel
lächelnd vor sie.
»Letzte Nacht? Letzte Nacht ist nichts Besonderes gewesen.«
»Nun, Fräulein, im Dorf hat man mir erzählt …«
»Nichts Besonderes – außer der Sache mit den Wölfen natürlich!«
Nanna zog die Augenbrauen zusammen.
»Na, du weißt doch, Nanna, auf was ich gehofft hatte in der Vollmondnacht. Baumgeister, Kobolde, Wesen anderer Art eben. Bei solchen Erwartungen … sind ein paar Wölfe, die mal eben an dir vorbei in den Wald tapern, schon eine derbe Enttäuschung.«
Fiona hatte also nichts Außergewöhnliches an den Tieren bemerkt? Die Alte überlegte.
»Kind, das könnte wichtig sein. Hast du die Wölfe von Nahem gesehen?«
Fiona zögerte. »Von Nahem? Na ja … nah, das wäre übertrieben.«
»Dann bist du nicht in Gefahr gewesen?«
»Ich? In Gefahr? Nein!«
»Warum bist du dann zu den Dörflern geflüchtet?«
Nannas Blick fiel auf die angelehnte Kellertür.
»O Nanna, ich …« Fiona fiel ihr in die Arme. »Ich freu’ mich so, dass du dich um mich sorgst.«
Nanna musste lächeln. Solche Gefühlsausbrüche war sie von dem Fräulein gar nicht gewohnt.
»Die Dörfler übertreiben«, rief das Mädchen.
Kam es ihr nur so vor, oder schob Fiona sie in der Umarmung ein Stück zurück, fort von der Kellertür?
»Wer hat dir denn so einen Unsinn erzählt? Bestimmt eines von den Tratschweibern. Die plustern doch jede Geschichte auf.«
Nanna überlegte. Nun ja, Rosa Zwieker hatte schon so manches Mal übertrieben, wenn es um die Probleme anderer Leute ging.
»Mir geht es bestens«, beteuerte das Mädchen. »Sehr gut. Wirklich!«
Plötzlich löste sie sich aus der Umarmung, um Nanna ins Gesicht zu sehen.
»Aber du … du siehst erschöpft aus, Nanna. Du bist wohl die ganze Nacht unterwegs gewesen. Es ist sehr lieb, dass du zu mir gekommen bist …«, sie gab ihr einen Kuss auf die Wange, »… aber jetzt, jetzt brauchst du deinen Schlaf!«
Nanna seufzte. Das Fräulein hatte nicht ganz unrecht. Sie spürte, wie die schlaflose Nacht an ihren Kräften zehrte. Und dennoch …
Durchdringend sah sie das Mädchen an. »Kann es sein, dass du mich loswerden möchtest?«
»Um ehrlich zu sein … oben auf meinem Bett … da liegt dieser Vampirroman und …« Fiona lächelte verlegen.
Nanna war erleichtert. Dem Mädchen ging es gut. Sogar viel besser als gestern Abend. »In Ordnung. Ich komme wieder …«
Langsam machte sie sich auf den Weg zur Tür.
»Ach, Nanna …«, rief Fiona sie noch einmal zurück. »Dieser Gnadenwurz … das Heilkraut, das du im Wald gesucht hast … Ich meine …, hast du welches bei dir?«
»Du fragst dich, ob meine Suche erfolgreich war?« Sie freute sich über das Interesse des Mädchens. »Ja, das war sie. Allerdings habe ich heute schon wieder mehr davon verbraucht als mir lieb gewesen wäre.«
Fiona schob sich eine Strähne hinters Ohr. »Wie meinst du das?«
»Die Wölfe«, flüsterte Nanna, ehe sie sich auf den Heimweg machte, um endlich in ihr warmes Bett zu fallen, »sie haben Menschen angefallen.«
*
Fiona verharrte regungslos an der Tür ins Freie, obwohl die alte Heilerin längst auf dem Weg nach Hause war.
Sie hatten Menschen angefallen …
Wieder und wieder hörte sie die Worte. Unwillkürlich jagte es ihr einen Schauder über den Rücken. Da vernahm sie, wie sich ächzend die Tür zum Keller auftat. Ihr Herz pochte, als sie sich zögernd umwandte.
Doch dort im Türrahmen stand kein Wolf, kein Monster. Nur Serafin.
»Danke, das hast du gut gemacht«, sagte er und seine schwarzen Augen suchten ihren Blick. »Lex geht es schlechter als er zugibt.«
Sie nickte. Er sah sie an. Und sie fühlte sich ihm nah, obwohl er noch immer starr am anderen Ende des Flures verharrte.
Er senkte seine Stimme. »Willst du ihm helfen?«
Fiona brachte kein Wort heraus und blickte zu Boden.
»Ist es wahr, dass ihr …«
Sie erschrak. Jetzt stand er direkt vor ihr.
Seine Stimme klang hart. »Die alte Frau hat recht, in allem, was sie sagt, Fiona. Wir sind nicht so wie du. Wir folgen dem Licht des Mondes, wir sind, was ihr Werwölfe nennt. Und ja …«, er zögerte nicht, es zu sagen, » … wir kamen in dein Dorf, um zu töten.«
Sie wollte zurückweichen, doch etwas verbot ihr, sich zu rühren.
Dann plötzlich war Serafins Stimme sanft wie zuvor. »Es steht dir frei, uns fortzuschicken. Ich kann verstehen, dass du dich fürchtest. Doch willst du, dass wir gehen, sag es jetzt.«
Besorgt blickte er zurück zur Kellertür. »Wir
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