Dreizehn bei Tisch
grübeln Sie eigentlich nach?«
Zu meiner größten Verwunderung und – ich gestehe es offen – ein wenig auch zu meinem Verdruss, begann mein Freund sich plötzlich vor Lachen zu schütteln.
»Worüber lachen Sie, zum Teufel?«, fragte ich scharf.
»Oh! Oh! Oh!«, japste Poirot. »Mir fiel ein Rätsel ein, das ich neulich mal hörte. Was ist das? – Es hat zwei Beine, Federn und bellt wie ein Hund?«
»Ein Hühnchen natürlich«, meinte ich gelangweilt. »Das wusste ich schon in der Kinderstube.«
»Ach, Hastings, warum sind Sie so gebildet? Sie hätten sagen müssen: ›Ich weiß es nicht.‹ Und dann hätte ich gesagt: ›Ein Hühnchen‹; und darauf Sie: ›Aber ein Hühnchen bellt doch nicht wie ein Hund.‹ Und hierauf wieder ich: ›Oh, das setzte ich nur hinzu, um es schwieriger zu machen.‹ Hastings, nehmen wir einmal an, das sei die Erklärung für den Buchstaben D!«
»Lächerlicher Einfall!«
Wir gingen gerade an einem großen Kino vorüber. In dichten Scharen strömten die Leute aus den Türen.
»Martin Bryan war doch wieder wundervoll …«, hörte ich eine junge Frau schwärmen. »Ich versäume keinen Film, in dem er spielt. Wie er da heute die Klippen hinabritt und just noch zur rechten Zeit mit den Papieren ankam…!«
Ihr Begleiter war weniger begeistert. »Eine blöde Geschichte!«, tadelte er. »Wenn sie nur so viel Verstand gehabt hätten, einfach Ellis zu fragen, wie es jeder vernünftige Mensch getan haben würde…«
Der Rest ging im Lärm des Verkehrs unter. Ich überquerte die Straße, und als ich mich umwandte, sah ich Poirot mitten auf der Fahrbahn stehen. Und von beiden Seiten jagten die Autobusse auf ihn zu. Instinktiv legte ich die Hand vor die Augen. Dann gab’s ein fürchterliches Kreischen von Bremsen, eine Flut von Schimpfworten aus den Kehlen erboster Chauffeure.
Ungerührt und ohne Eile erreichte Hercule Poirot schließlich die andere Seite… Wie ein Schlafwandler sah er aus.
»Poirot, sind Sie verrückt geworden?«
»Nein, mon ami. Eine Erleuchtung überkam mich. Dort, gerade in jenem Moment.«
»Ein verflucht schlechter Moment«, rief ich.
»Gleichgültig, Hastings. Ah, mon cher, ich bin blind und taub und unempfindlich gewesen. Jetzt aber sehe ich die Antworten auf alle meine fünf Fragen. Ja, auf alle. So einfach, so kindisch einfach…«
28
E s wurde ein seltsamer Heimweg.
Poirot arbeitete offenbar an irgendeinem Gedankengang. Gelegentlich gab er Laute von sich, die einem dumpfen Knurren glichen, und ich glaubte einmal das Wort »Kerzenbeleuchtung« zu erhaschen und ein andermal etwas, das wie »douzaine« klang.
Kaum zuhause angelangt, flog er ans Telefon. Er rief das Hotel Savoy an und verlangte Lady Edgware.
»Vergebliches Bemühen, alter Knabe«, sagte ich belustigt. »Wissen Sie denn nicht, dass sie in einem neuen Stück auftritt? Es ist erst halb elf, da wird sie noch im Theater sein.«
Poirot würdigte mich keiner Antwort. Eifrig verhandelte er mit dem Hotelangestellten, der ihm anscheinend genau dasselbe mitteilte, was ich ihm gesagt hatte.
»Ah…? Soso. Dann möchte ich gern mit Lady Edgwares Kammerfrau sprechen.«
In wenigen Sekunden war die Verbindung hergestellt.
»Hier ist Hercule Poirot. Sie erinnern sich an mich, nicht wahr? Die gnädige Frau ist nicht anwesend, wurde mir eben mitgeteilt.«
»……….«
»Très bien. Nun hat sich inzwischen etwas sehr Wichtiges zugetragen, und ich möchte Sie bitten, sofort zu mir zu kommen.«
»……….«
»Aber ja. Sehr, sehr wichtig! Ich werde Ihnen die Adresse geben. Hören Sie gut zu.«
Er wiederholte sie zweimal und legte dann mit nachdenklichem Gesicht den Hörer auf. Meine Fragen fertigte er mit höchst aufreizendem Lächeln ab und sagte, ich solle mich in Geduld fassen. Hierauf begann er geschäftig das Zimmer aufzuräumen oder vielmehr umzuräumen.
Zehn Minuten später erschien die Erwartete bereits, eine kleine, schwarzgekleidete Person, die etwas nervös und unsicher umherschaute.
Poirot stürzte ihr entgegen. »Ah, wie nett, dass Sie gekommen sind! Bitte nehmen Sie Platz, Mademoiselle – Ellis, wenn ich nicht irre?«
»Ja, Sir. Ellis.« Folgsam setzte sie sich auf den Stuhl, den mein Freund ihr angewiesen hatte, und blickte, die Hände im Schoß gefaltet, abwechselnd uns beide an. Ihr kleines, blutloses Gesicht war ruhig und gelassen, die schmalen Lippen bildeten einen Strich.
»Darf ich zuerst einmal fragen, seit wann Sie bei Lady Edgware sind?«
»Seit drei
Weitere Kostenlose Bücher