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Dringernder Verdacht

Dringernder Verdacht

Titel: Dringernder Verdacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hätte mich missverstanden und sei am
falschen Ort. Aber die Angabe Vogelschutzgebiet war doch wohl
unmissverständlich. Es gab dort nur einen Parkplatz. Ich hatte ihm gesagt, ich
würde erst noch hier vorbeifahren, um meine Pistole zu holen, aber er hatte
sich so verschlafen angehört. Wer wusste schon, was bei ihm hängen geblieben
war und ob es ihm einfallen würde, nach mir zu suchen.
    Ich zog Ida Ruths Stuhl näher heran und
duckte mich dahinter. Den Stuhl als Schutzschild mitschleppend, kroch ich in
Richtung der unbeschilderten Tür. Es krachte ein zweites Mal. Die Kugel schlug
mit solcher Wucht in das Polster, dass es mir die Plastiklehne genau ins
Gesicht schlug. Ich konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als mir das
Blut aus der Nase schoss. Den Stuhl mit mir ziehend, krabbelte ich rückwärts
auf die Ausgangstür zu. Ich tastete mich die Türfüllung hinauf, bis ich den
Knauf berührte. Abgeschlossen. Wieder krachte ein Schuss. Ein Holzsplitter flog
an meinem Gesicht vorbei. Ich drückte mich an die Wand und kroch, die Fußleiste
als Bahnmarkierung nehmend, den Fußboden entlang. Ich betete, der Teppichboden
möge sich auftun und mich schlucken. Der nächste Schuss schrammte meine rechte
Hüfte. Es fühlte sich an, als ob jemand ein riesiges Streichholz an mir
anzündete. Ich machte wieder einen Satz, und vor Pein und Verblüffung entfuhr
mir ein kurzer Schrei. Der stechende Schmerz sagte mir, dass ich getroffen war.
    Ich wälzte mich auf die andere Seite
des Flures. Mein einziger Schutz war jetzt das Dunkel. Aber wenn meine Augen
sich daran gewöhnten, taten es die meines Gegners auch. Ich feuerte auf Lonnies
Tür. Ich vernahm einen kurzen Überraschungslaut. Ich feuerte noch mal und
robbte hastig rückwärts den Flur hinunter in Richtung Küche. Meine rechte
Hinterbacke brannte, und glühende Funken schossen mein rechtes Bein und meine
rechte Flanke hinauf. Ich krabbelte unbeholfener als ein sechs Monate altes
Baby. Ich klammerte mich an die Wand und fühlte, wie mir die Tränen kamen,
nicht vor Trauer, sondern vor Schmerz.
    Ich maße mir gar nicht erst an, die
Abläufe im menschlichen Gehirn erklären zu wollen. Ich weiß natürlich, dass die
linke Gehirnhälfte verbal, linear und analytisch operiert und die kleinen
Probleme des Lebens durch logisches Denken löst. Die rechte Hälfte dagegen
arbeitet eher intuitiv, bildhaft, sprunghaft und spontan und liefert die
plötzlichen Aha-Erlebnisse und die Antworten auf Fragen, die man sich vielleicht
drei Tage vorher gestellt hat. Dafür gibt es keine Erklärung. Wie ich jetzt so
im Dunkeln an der Wand kauerte, die Pistole in der Hand, die Lippen fest
aufeinander gepresst, um nicht loszuschreien wie ein kleines Mädchen, wusste
ich plötzlich mit absoluter Sicherheit, wer da auf mich schoss. Und es machte
mich stinksauer. Als der nächste Schuss fiel, drückte ich mich flach auf den
Boden. Ich brachte die Pistole mit beiden Händen in den Anschlag und schoss
zurück. Vielleicht war es ja Zeit, mich zu offenbaren. »Hey, David?«
    Stille.
    »Ich weiß, dass Sie’s sind«, sagte ich.
    Er lachte. »Ich habe mich schon
gefragt, ob Sie’s rauskriegen.«
    »Es hat ein bisschen gedauert, aber ich
bin draufgekommen«, sagte ich. Es war gespenstisch, so im Dunkeln mit ihm zu
reden. Ich konnte mir sein Gesicht nicht recht vorstellen, und das irritierte
mich.
    »Wie denn?«
    »Mir ist aufgefallen, dass da eine
Lücke war, zwischen dem Moment, als Tippy den Fußgänger angefahren hat, und
ihrer Begegnung mit Ihnen.«
    »Ergo?«
    »Ergo habe ich sie angerufen und
gefragt, wo sie in dieser halben Stunde war. Es stellte sich raus, dass sie zu
Isabelles Haus gefahren war.«
    Wieder herrschte Schweigen.
    Ich fuhr fort: »Sie hatten Isabelle
gerade erschossen, als Sie Tippy die Einfahrt entlangkommen hörten. Während sie
an der Tür klopfte, sind Sie hinten auf die Ladepritsche gestiegen. Tippy hat
Sie mitgenommen, als sie wieder losfuhr. Sie brauchten weiter nichts zu tun als
zu warten, bis sie abbremste. Sie springen auf der Beifahrerseite ab und
schlagen dabei mit der Faust gegen den Wagen. Tippy biegt links ab, und Sie
liegen da auf der Straße, unter den Augen des Reparaturtrupps drüben auf der
anderen Seite.«
    »Genau. Und Mr. Durchschnittsbürger
höchstpersönlich ist mein Zeuge«, ergänzte er jetzt.
    »Und Morley? Warum mussten Sie ihn
umbringen?«
    »Soll das eine Scherzfrage sein? Der
alte Schnüffler saß mir im Nacken. Als ich am Mittwoch mit ihm

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