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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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erstarre aber auf halbem Weg. Das kann doch wohl kein Problem sein – nach oben in mein Zimmer zu gehen. Nichts weiter. Einfach nur einen Schritt nach dem andern.
    Aber es ist wie ein Eindringen, als ob ich im Haus eines andern herumgehe.
    Ich schaue nach oben und sehe drei Türen. Meine Beine bewegen sich nicht. Die eine Tür hat drei Löcher. Für einen Moment starre ich sie an und frage mich, wie die Löcher dort hingekommen sind, aber dann höre ich den Lärm, mit dem Rob sie hineinschlug. Voller Wut, eins, zwei, drei – die Fäuste fest geballt. Dann wendet er sich blitzartig wieder mir zu und seine Faust fliegt in mein Gesicht.
    Ich drehe mich um, setze mich hin und trinke einen Schluck aus der Dose, die ich immer noch in der Hand halte.
    Wieso war er so wütend?
    Noch ein Schluck. Und noch einer. Es gibt nur noch mich, das Bier, die Treppe und das Dunkel. Ich sitze und trinke, bis alles vorbei ist. Die Flüssigkeit liegt mir schwer im Magen, aber sie wirkt. Ich fühle mich gedämpfter, nicht so überreizt. Und müde. Mich hinlegen wäre jetzt schön. Mach schon, Carl. Ich lasse die leere Bierdose auf der Treppe stehen, schwinge mich auf die Beine und gehe nach oben, fahre mit den Fingern links und rechts die Wand entlang. Die Wände sind uneben. Die Raufaser-Hubbel haben etwas Tröstliches. Wie oft habe ich das gemacht, die Wände befühlt? Ist es das, was ich immer tue auf dem Weg nach oben?
    Ich gehe den Flur entlang, an der ersten Tür vorbei. Sie steht offen. Ich sehe ein Doppelbett, Frauenkleidung auf dem Boden verstreut, Flaschen und Tuben und alle möglichen Make-up-Sachen müllen die schmuddelige Oberfläche einer Kommode zu. Hinter der nächsten Tür ist das Badezimmer. Ich gehe weiter und bleibe vor der letzten Tür stehen. Ich schließe die Hand zur Faust und stecke sie in eins der Löcher. Es bleibt Platz drum herum. Er war größer als ich. Mein großer Bruder.
    Ich drücke die Tür auf und gehe hinein.

ZWEI
    Der schale Geruch breitet sich in meinem Kopf aus. Ich weiß nicht, wonach es riecht, aber der Geruch überspült mich mit Gefühlen, vagen Erinnerungen. Zwei Matratzen liegen parallel an den Wänden, mit einem Meter Abstand dazwischen. Viel mehr gibt es nicht. Klamotten liegen herum. Ein paar Zeitschriften. Leere Bierdosen. In der einen Ecke lehnen Angelruten.
    Zwei Matratzen. Keine Kissen, keine Laken wie im Krankenhaus, einfach nur Schlafsäcke auf den Matratzen. Der eine orangefarben, der andere grün. Der grüne ist meiner. Woher weiß ich das? Ich setze mich drauf, und weil ich nichts Besseres zu tun habe, steige ich mitsamt Schuhen und allem hinein. Ich ziehe mit beiden Händen die Nylonränder über mich, dass nur noch Augen und Nase herausschauen. Ich liege auf der Seite, schaue durchs Zimmer auf die Matratze von Rob, auf seinen orangefarbenen Schlafsack, der zu einem Haufen zusammengeknüllt ist.
    Und plötzlich höre ich, wie der Reißverschluss an seinem Gesicht vorbei und über den Kopf hinweg zugezogen wird. Sehe sein Gesicht, von Schlamm überzogen – gerade noch da und auf einmal weg. Weggeschlossen.
    Ich mache die Augen zu und bin unter Wasser. Ein Knäuel von Armen und Beinen, die vor mir herumpeitschen. Das Wasser drückt mich nach unten, meine Lunge tut weh. Das Wehtun wird zu Schmerz. Ich kann nicht atmen. Ich brauche Luft. Ich muss …
    Ich öffne die Augen und bin allein in diesem schmutzigen, leeren Chaos von Zimmer. Ich atme schwer und die Luft, die in die Lunge geht und wieder herauskommt, fühlt sich an wie schon einmal geatmet. Sie hinterlässt einen sauren Geschmack auf der Zunge. Ich denke an das Zimmer im Krankenhaus – wie strahlend weiß und sauber es war. Es roch nach Desinfektionsmittel. Plötzlich schiebe ich meine Nase in den Stoff des Schlafsacks und atme ein. Es ist der schale Geruch nach altem Schweiß. Er widert mich an, doch er hat auch etwas Beruhigendes. Das bin ich. Es muss so sein – es ist mein Schlafsack. Das ist mein Geruch.
    Aber wer bin ich? Und wer war mein Bruder? Mochte ich ihn? Mochte er mich? Nicht, wenn die Erinnerung auf der Treppe stimmt.
    Ich denke an das, was man mir erzählt hat. »Dein Bruder ist tot. Es gab einen Unfall. Er ist ertrunken.« Wieso spüre ich nichts? Ich muss doch ein Monster sein, wenn ich keine Trauer empfinde.
    Eine Weile liege ich nur da. Inzwischen ist es dunkel, aber durch die offene Tür dringt Licht vom Flur. Ich schaue hin und lausche, versuche alles in mich aufzunehmen – das ganze Haus.

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