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Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Drowning - Tödliches Element (German Edition)

Titel: Drowning - Tödliches Element (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Ward
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Schieber stecke. Die Nacht ist still, aber durch die Öffnung dringt frische Luft ins Zimmer und eine Art Hintergrundraunen, nichts, was man genauer bestimmen kann, nur das Geräusch, das eine schlafende Kleinstadt von sich gibt.
    Keine Chance zu schlafen. Ich bin hundertprozentig wach.
    Ich schaue ein paar von den Sachen durch, die auf dem Boden liegen. T-Shirts, Socken, Hosen. Es scheint nirgendwo eine Trennlinie zu geben, nichts, das anzeigt, was mir gehört oder ihm. Ihm gehört hat , sollte ich besser sagen. Und es ist auch nicht zu erkennen, was sauber ist und was nicht. Ich fürchte, gar nichts ist sauber.
    Zwischen den Klamotten liegen überall Essensschachteln, leere Coladosen und Bonbonpapiere herum. Das Ganze ist wie so eine Art Suppe. Ich fange an, die Sachen zu sortieren. Socken auf den einen Haufen, T-Shirts auf einen andern. Dosen aufreihen, eine neben die andere. Ich weiß überhaupt nicht, wieso ich das tue, doch es ist eine Aufgabe. Teile vom Fußboden werden sichtbar. Teppichboden kommt zum Vorschein, keine Ahnung, welche Farbe er ursprünglich hatte, inzwischen ist er jedenfalls grau mit braunen Flecken.
    Richtigen Müll stopfe ich in einen alten Plastikbeutel: Zellophan, Papier, Kaugummireste, soweit ich sie irgendwo abkratzen kann. Bald habe ich die halbe Lücke zwischen unseren Matrazen freigeräumt. Ich hebe ein weiteres Stück Papier auf, einen Teil von etwas, das zerrissen wurde. Ich habe schon ein paar ähnliche Schnipsel gefunden und sie in den Plastikbeutel gesteckt. Jetzt merke ich, dass das Stück nicht aus einer Zeitschrift stammt. Dafür ist das Papier zu dick, die Oberfläche zu glatt und glänzend. Es ist ein Foto. Die eine Seite ist weiß, aber die andere zeigt einen Ausschnitt von einem Bild. Ich lege mir das Stück auf die Handfläche und drehe es um. Es zeigt einen halben Mund, ein Kinn, Schatten an einem oberen Halsende.
    Ich wühle in dem Müllbeutel und fische ein paar von den anderen Stücken heraus. Die drei, die ich finde, lege ich auf den Boden, schiebe sie hin und her, spiele mit ihnen, versuche, sie einzupassen. Und zwei passen wirklich. Jetzt liegen ein Auge und eine halbe Nase über dem Mund. Es ist ein Mädchen. Mir ist, als ob ich sie schon mal gesehen hätte.
    Ich wühle nach weiteren Stücken. Ich kippe den Beutel wieder aus, finde aber keine mehr. Ich lasse den Müll, wo er ist, drehe mich um und gehe die restlichen Sachen auf dem Fußboden durch. Jetzt sortiere ich nicht, sondern wühle nur alles durch, nehme Dinge vom einen Haufen und werfe sie hinter mich auf einen andern. Jedes Stück, das ich von dem Foto finde, ist wie ein Schatz. Ein weiteres Teil des Puzzles, das ich zusammensetzen muss. Ich finde zwei neue Stücke. Eine Silberkette um ihren Hals und das obere Ende eines T-Shirts. Sie hat zwei kleine Ringe am rechten Ohr, einen über dem andern. Aber die linke Seite fehlt. Ich suche weiter.
    Die Teile liegen überall im Zimmer verstreut. Ich klaube sie zusammen, zwei scheinen zu fehlen. Doch ich glaube, dass es nur Randstücke sind, so dass sie vielleicht keine große Rolle spielen. Nach ein bisschen Hin- und Herschieberei liegt das Gesicht zusammen. Das Mädchen ist eine auffallende Erscheinung: lange dunkle Haare, in der Mitte geteilt und hinter die Ohren gesteckt, glatte Haut – keine Beulen und Schrunden wie bei mir – und wunderschöne Augen. Dunkelbraun. In denen das Licht spielt. Unmöglich, da nicht hinzugucken. Sie macht einen Schmollmund, zieht die Wangen nach innen und schaut in die Kamera. Ich nehme an, es ist eines dieser Fotos, die man selbst macht, du weißt schon, mit ausgestrecktem Arm.
    Es steht auch etwas drauf. Obwohl genau das der Teil ist, wo die zwei Stücke fehlen, sieht man, dass sie es unten signiert hat. Ich kann nur »Küsse, N-« erkennen.
    Küsse.
    Das Foto befindet sich in unserem Zimmer, im Zimmer von Rob und mir. Wem also hat sie Küsse geschenkt?
    Ich sehe mich im Zimmer um und denke daran, was ich von meinem Leben weiß, denke an die gestrige Fahrt hierher, daran, wie ich in der Küche gestanden und Mum zugesehen habe, als sie sich das Bier die Kehle runtergekippt hat. Dann sehe ich wieder das Foto an, blicke wieder in die Augen des Mädchens und wünsche mir, wünsche mir von ganzem Herzen, dass ich es bin, dem die Küsse gegolten haben.
    Aber das kann nicht sein. Denn das letzte Mal, als ich sie sah, hat sie mich angeschrien.
    Sie ist das Mädchen aus dem Krankenwagen.

VIER
    Das Mädchen auf dem Foto. Das Mädchen

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