Drowning - Tödliches Element (German Edition)
Mein Zuhause. Das Haus ist still, kein Geräusch von unten, aber nebenan höre ich den Fernseher. Und von draußen Leute, die die Straße entlanglaufen, Autos, die kommen und gehen, Türen, die zuschlagen. In der Ecke über Robs Matratze ist ein dunkler Fleck an der Decke. An den Wänden Gekritzel.
Mir ist, als ob ich von einem andern Planeten käme, als wenn ich in das Leben eines andern geworfen worden wäre und nun allein damit zurechtkommen müsste. Ich will zurück ins Krankenhaus. Das hier ist nicht mein Zuhause. Die Frau unten ist nicht meine Mum. Der Junge, der gestorben ist, war nicht mein Bruder. Es muss ein Irrtum passiert sein, ein schrecklicher, schauderhafter Irrtum.
Ich zittere plötzlich. Ich habe Angst. Ich schaffe das nicht. Ich will nicht hier sein.
Meine Nase nimmt wieder diesen Geruch wahr, diesen Geruch, den ein Körper hinterlässt, wenn er Nacht für Nacht dort geschlafen hat. Der Geruch sagt mir, dass ich mich täusche. Das hier ist mein Zuhause. Es gibt kein Entkommen.
Ich schlinge die Arme um mich und rolle mich in meinem Schlafsack noch enger zusammen, aber ich kann mich auch jetzt nicht entspannen. Ohne nachzudenken, löse ich einen Arm und fasse unter die Matratze. Meine Finger greifen um etwas Hartes, Flaches. Ich ziehe es heraus. Im schwachen Licht erkenne ich den Umschlag eines gebundenen Buches. Die Buchstaben des Titels sind groß und stehen weiß auf schwarzem Grund: Von Mäusen und Menschen . Auf der Seite liegend öffne ich das Buch und finde den Anfang der Geschichte. Das Licht ist zu schwach, um die Schrift zu erkennen, aber ich muss sie gar nicht sehen, die Worte kommen von irgendwo aus dem Nebel in meinem Hirn: »Einige Meilen südlich von Soledad fließt der Salinas River bergab und strömt tief und grün das hügelige Ufer entlang. Das Wasser ist hier warm, denn es plätschert glitzernd in der Sonne über den gelben Sand, bevor es das enge Becken erreicht.«
»Verdammte Scheiße, Mann, mach die dämliche Funzel aus, Cee.«
»Ich les aber noch.«
»Du hast das Ding doch schon hundert Mal gelesen.«
»Na und?«
»Du sollst endlich das verdammte Licht ausmachen. Ich bin hundemüde.«
Mit dem Buch eng an der Brust, eingewickelt in meinen Schlafsack, robbe ich über den Fußboden, bis mein Gesicht über Robs Matratze, seinem orangefarbenen Schlafsack schwebt. Ich lege mich hin, atme schwer. Der Stoff unter meiner Nase riecht unangenehm, so unangenehm wie meiner, nur anders. Ich schließe wieder die Augen und höre ihn atmen.
»Sag gute Nacht, Cee«, befiehlt er. Und ich weiß, es ist das, was er jeden Abend sagt. Gesagt hat. So hat er es jeden Abend gemacht.
Erst hat er gesagt, ich soll Gute Nacht sagen, und dann hab ich »Nacht, Rob« gesagt.
Und er hat geantwortet: »Nacht, Cee.«
Jeden Abend.
Ich sage es. »Nacht, Rob.« Und ich halte die Augen geschlossen. Mein Körper liegt in der Lücke zwischen unseren Betten, der Kopf auf seiner Matratze.
Sein Atem geht gleichmäßig und langsam und ich merke, dass ich im Takt mit ihm atme. Das Buch fällt zu Boden und ich gleite davon. Gleite allmählich in den Schlaf.
DREI
Ich wache an einem dunklen, stillen Ort auf. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin, wie spät es ist, wer ich bin. Aber allmählich kommt alles zurück.
Ich heiße Carl Adams.
Ich bin fünfzehn.
Mein Bruder ist tot.
Der letzte Gedanke rattert in meinem Kopf herum. Rob ist tot. Rob ist tot. Ich weiß, der Gedanke ist monströs, aber es sind nur Worte, einfach bloß Worte.
Ich erinnere mich, wie ich hier eingeschlafen bin, seinen Atem hörte, seine Stimme. Jetzt ist nichts mehr da. Kein Geräusch von draußen, kein Fernseher, der läuft. Nur ein Wasserhahn, der irgendwo in der Wohnung tropft. Es ist ein leises Geräusch, aber weil alles ringsum so still ist, höre ich es genau – und mein Kopf konzentriert sich darauf, plip, plip, plip . Wie Sekunden auf einer Uhr, die vor sich hin tickt.
Das oberste Stück des Schlafsacks ist da nass, wo ich im Schlaf gesabbert habe. Ich schiebe das Stück von mir weg, setze mich auf und wische mir den Mund am Handrücken ab. Mein Kopf tut weh und mein Hals ist ausgetrocknet. Ich befreie mich aus dem Schlafsack und stolpere hinaus auf den Flur. Das Licht brennt noch. Ich gehe auf die Badezimmertür zu, von wo das Tropfen kommt. Ich mache mir nicht die Mühe, das Licht anzuschalten.
Es ist der Kaltwasserhahn am Waschbecken. Ich drehe ihn voll auf, beuge mich vor, halte die Hände zusammen und spritze mir Wasser
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