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Drucke Zu Lebzeiten

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Titel: Drucke Zu Lebzeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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kränken? Warum wollen Sie mir mit aller Gewalt dieses
kleine Weilchen Ihres Hier- seins verderben? Ein fremder Mensch
wäre entgegen- kommender als Sie."
       „Das glaube ich; das war
keine Weisheit. So nah, als Ihnen ein fremder Mensch entgegenkommen
kann, bin ich Ihnen schon von Natur aus. Das wissen Sie auch, wozu also
die Wehmut? Sagen Sie, daß Sie Komödie spielen wollen, und
ich gehe augenblicklich."
       „So? Auch das wagen Sie
mir zu sagen? Sie sind ein wenig zu kühn. Am Ende sind Sie doch in
meinem Zim- mer. Sie reiben Ihre Finger wie verrückt an meiner
Wand. Mein Zimmer, meine Wand! Und außerdem ist das, was Sie
sagen, lächerlich, nicht nur frech. Sie sagen, Ihre Natur zwinge
Sie, mit mir in dieser Weise zu reden. Wirklich? Ihre Natur zwingt Sie?
Das ist nett von Ihrer Natur. Ihre Natur ist meine, und wenn ich mich
von Natur aus freundlich zu Ihnen verhalte, so dürfen auch Sie
nicht anders."
       „Ist das freundlich?"
       „Ich rede von früher."
    „Wissen Sie, wie ich später sein werde?"
    „Nichts weiß ich."
      Und ich ging zum Nachttisch hin, auf
dem ich die Kerze anzündete. Ich hatte in jener Zeit weder Gas
noch elektrisches Licht in meinem Zimmer. Ich saß dann noch eine
Weile beim Tisch, bis ich auch dessen müde wurde, den
Überzieher anzog, den Hut vom Kanapee nahm und die Kerze ausblies.
Beim Hinausgehen verfing ich mich in ein Sesselbein.
      Auf der Treppe traf ich einen Mieter aus dem gleichen Stockwerk.
      „Sie gehen schon wieder weg,
Sie Lump?" fragte er, auf seinen über zwei Stufen ausgebreiteten
Beinen aus- ruhend.
      „Was soll ich machen?" sagte ich, „jetzt habe ich ein Gespenst im Zimmer gehabt."
      „Sie sagen das mit der gleichen Unzufriedenheit, wie wenn Sie ein Haar in der Suppe gefunden hätten."
      „Sie spaßen. Aber merken Sie sich, ein Gespenst ist ein Gespenst."
      „Sehr wahr. Aber wie, wenn man überhaupt nicht an Gespenster glaubt?"
      „Ja meinen Sie denn, ich glaube an Gespenster? Was hilft mir aber dieses Nichtglauben?"
      „Sehr einfach. Sie müssen eben keine Angst mehr ha- ben, wenn ein Gespenst wirklich zu Ihnen kommt."
      „Ja, aber das ist doch die nebensächliche Angst. Die
    eigentliche Angst ist die Angst vor der Ursache
der Er- scheinung. Und diese Angst bleibt. Die habe ich gerade- zu
großartig in mir." Ich fing vor Nervosität an, alle meine
Taschen zu durchsuchen.
       „Da Sie aber vor der
Erscheinung selbst keine Angst hatten, hätten Sie sie doch ruhig
nach ihrer Ursache fra- gen können!"
       „Sie haben offenbar noch
nie mit Gespenstern gespro- chen. Aus denen kann man ja niemals eine
klare Aus- kunft bekommen. Das ist ein Hinundher. Diese Gespen- ster
scheinen über ihre Existenz mehr im Zweifel zu sein, als wir, was
übrigens bei ihrer Hinfälligkeit kein Wunder ist."
       „Ich habe aber gehört, daß man sie auffüttern kann."
       „Da sind Sie gut berichtet. Das kann man. Aber wer wird das machen?"
       „Warum nicht? Wenn es ein
weibliches Gespenst ist z. B.", sagte er und schwane sich auf die obere
Stufe.
       „Ach so", sagte ich, „aber selbst dann steht es nicht dafür."
       Ich besann mich. Mein Bekannter
war schon so hoch, daß er sich, um mich zu sehen, unter einer
Wölbung des Treppenhauses vorbeugen mußte. „Aber
trotzdem", rief ich, „wenn Sie mir dort oben mein Gespenst
wegneh- men, dann ist es zwischen uns aus, für immer."
       „Aber das war ja nur Spaß", sagte er und zog den Kopf zurück.
      „Dann ist es gut", sagte ich
und hatte jetzt eigentlich ruhig spazieren gehen können. Aber weil
ich mich gar so verlassen fühlte, ging ich lieber hinauf und legte
mich schlafen.

    Das Urteil

    Eine Geschichte

    Für F.

    Es war an einem Sonntagvormittag im
schönsten Früh- jahr. Georg Bendemann, ein junger Kaufmann,
saß in seinem Privatzimmer im ersten Stock eines der niedrigen,
leichtgebauten Häuser, die entlang des Flusses in einer langen
Reihe, fast nur in der Hohe und Färbung unter- schieden, sich
hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich im Ausland
befindenden Jugendfreund been- det, verschloß ihn in
spielerischer Langsamkeit und sah dann, den Ellbogen auf den
Schreibtisch gestützt, aus dem Fenster auf den Fluß, die
Brücke und die Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen
Grün. Er dachte darüber nach, wie dieser Freund, mit seinem
Fortkommen zu Hause unzufrieden, vor Jahren schon nach Rußland
sich förmlich geflüchtet hatte.

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