Drucke Zu Lebzeiten
verschwindend gegenüber dem
Umfang, den Georgs Geschäft jetzt an- genommen hatte. Georg aber
hatte keine Lust gehabt, dem Freund von seinen geschäftlichen
Erfolgen zu schreiben, und jetzt nachträglich hätte es
wirklich einen merkwürdigen Anschein gehabt.
So beschränkte sich Georg
darauf, dem Freund immer nur über bedeutungslose Vorfälle zu
schreiben, wie sie sich, wenn man an einem ruhigen Sonntag nachdenkt,
in der Erinnerung ungeordnet aufhäufen. Er wollte nichts anderes,
als die Vorstellung ungestört lassen, die sich der Freund von der
Heimatstadt in der langen Zwischenzeit wohl gemacht und mit welcher er
sich abgefunden hatte. So geschah es Georg, daß er dem Freund die
Verlobung eines gleichgültigen Menschen mit einem ebenso gleich-
gültigen Mädchen dreimal in ziemlich weit auseinander-
liegenden Briefen anzeigte, bis sich dann allerdings der Freund, ganz
gegen Georgs Absicht, für diese Merkwür- digkeit zu
interessieren begann.
Georg schrieb ihm aber solche Dinge
viel lieber, als daß er zugestanden hätte, daß er
selbst vor einem Monat mit einem Fräulein Frieda Brandenfeld,
einem Mädchen aus wohlhabender Familie, sich verlobt hatte. Oft
sprach er mit seiner Braut über diesen Freund und das beson- dere
Korrespondenzverhältnis, in welchem er zu ihm stand. „Er
wird also gar nicht zu unserer Hochzeit kom- men", sagte sie,
„und ich habe doch das Recht, alle deine Freunde kennenzulernen."
„Ich will ihn nicht stören", antwortete Georg,
„verstehe mich recht, er würde wahr- scheinlich kommen,
wenigstens glaube ich es, aber er würde sich gezwungen und
geschädigt fühlen, vielleicht mich beneiden und sicher
unzufrieden und unfähig, die- se Unzufriedenheit jemals zu
beseitigen, allein wieder zurückfahren. Allein – weißt
du, was das ist?" „Ja, kann er denn von unserer Heirat nicht auch
auf andere Weise erfahren?" „Das kann ich allerdings nicht
verhindern, aber es ist bei seiner Lebensweise unwahrscheinlich."
„Wenn du solche Freunde hast, Georg, hättest du dich
überhaupt nicht verloben sollen." „Ja, das ist unser bei-
der Schuld; aber ich wollte es auch jetzt nicht anders haben." Und wenn
sie dann, rasch atmend unter seinen Küssen, noch vorbrachte:
„Eigentlich kränkt es mich doch", hielt er es wirklich
für unverfänglich, dem Freund alles zu schreiben. „So
bin ich und so hat er mich hinzunehmen", sagte er sich, „ich kann
nicht aus mir einen Menschen herausschneiden, der vielleicht für
die Freundschaft mit ihm geeigneter wäre, als ich es bin."
Und tatsächlich berichtete
er seinem Freunde in dem langen Brief, den er an diesem
Sonntagvormittag schrieb, die erfolgte Verlobung mit folgenden Worten:
„Die beste Neuigkeit habe ich mir bis zum Schluß auf-
gespart. Ich habe mich mit einem Fräulein Frieda Bran- denfeld
verlobt, einem Mädchen aus einer wohlhaben- den Familie, die sich
hier erst lange nach Deiner Abreise angesiedelt hat, die Du also kaum
kennen dürftest. Es wird sich noch Gelegenheit finden, Dir
Näheres über meine Braut mitzuteilen, heute genüge Dir,
daß ich recht glücklich bin und daß sich in unserem
gegenseitigen Ver- hältnis nur insofern etwas geändert hat,
als Du jetzt in mir statt eines ganz gewöhnlichen Freundes einen
glück- lichen Freund haben wirst. Außerdem bekommst Du in
meiner Braut, die Dich herzlich grüßen läßt, und
die Dir nächstens selbst schreiben wird, eine aufrichtige Freun-
din, was für einen Junggesellen nicht ganz ohne Bedeu- tung ist.
Ich weiß, es hält Dich vielerlei von einem Besu- che bei uns
zurück. Wäre aber nicht gerade meine Hoch- zeit die richtige
Gelegenheit, einmal alle Hindernisse über den Haufen zu werfen?
Aber wie dies auch sein mag, handle ohne alle Rücksicht und nur
nach Deiner Wohlmeinung."
Mit diesem Brief in der Hand
war Georg lange, das Gesicht dem Fenster zugekehrt, an seinem
Schreibtisch gesessen. Einem Bekannten, der ihn im Vorübergehen
von der Gasse aus gegrüßt hatte, hatte er kaum mit ei- nem
abwesenden Lächeln geantwortet.
Endlich steckte er den Brief in
die Tasche und ging aus seinem Zimmer quer durch einen kleinen Gang in
das Zimmer seines Vaters, in dem er schon seit Monaten nicht gewesen
war. Es bestand auch sonst keine Nöti- gung dazu, denn er
verkehrte mit seinem Vater ständig im Geschäft. Das
Mittagessen nahmen sie gleichzeitig in einem Speisehaus ein, abends
versorgte sich zwar jeder nach Belieben; doch saßen sie dann noch
ein Weilchen,
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