DS025 - Die unheimlichen Augen
Dir macht es vielleicht nichts aus, wenn du mit deinem Eisenschädel auf’s Pflaster knallst, aber mein Kopf ist nicht ganz so hart, außerdem habe ich einiges darin, das ich gern behalten möchte.«
Der Fahrer lachte und lenkte den großen Wagen noch näher an den Straßenrand; es schien ihm Spaß zu machen, Gras und Sträucher an der Fahrbahn abzurasieren.
»Solange du dir nicht die Zunge abbeißt, ist nicht viel verloren«, sagte er mit sanfter Kinder stimme. »Du kannst nämlich nur reden; mit deinem Gehirn ist nicht viel los. Aber du brauchst dich nicht zu ängstigen. Wenn ich will, steige ich mit dieser Karre auf einen Baum und auf der anderen Seite wieder herunter.«
»Nein!«, sagte der zweite Mann im Wagen erbost. »Halt an, ich will hier raus! Auf deine Experimente laß ich mich nicht ein. Wenn du nicht sofort bremst, stoße ich dir zehn Zoll Stahl in die Kehle! Ich hab genug von deiner Raserei.«
Der Sprecher war ein kleiner, drahtiger Mann, hieß Theodore Marley Brooks und wurde von Leuten, die ihn mochten, Ham genannt. Er war geschmackvoll angezogen und galt als einer der gewieftesten Juristen der Vereinigten Staaten. Quer über den Knien hielt er einen scheinbar unschuldigen Spazierstock, der in Wahrheit ein Stockdegen war. Die Spitze war vergiftet, so daß die kleinste Verletzung mit dieser Waffe genügte, das Opfer in sofortige Betäubung zu versetzen. Er hatte den Degen halb gezückt, und der Fahrer trat so abrupt auf die Bremse, daß Ham mit der Stirn an die Windschutzscheibe prallte.
Der Fahrer feixte. Er erinnerte in der Tat ein wenig an einen Irrtum der Natur, wie sein Begleiter ihn genannt hatte. Er war gebaut wie ein Gorilla. Seine Arme wirkten länger als die Beine, die Brust war vorgewölbt und die Stirn so niedrig, daß ein Betrachter kaum mehr als ein Teelöffel Gehirn dahinter hätte vermuten können. Trotzdem war Andrew Blodgett Mayfair einer der zehn bedeutendsten Chemiker der Gegenwart. Er trug den Spitznamen Monk.
»Bitte«, sagte er. »Du darfst mich verlassen. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß es regnet; deine kostspielige Garderobe könnte Schaden nehmen.«
»Das ist mir gleichgültig.« Ham setzte ein hochmütiges Gesicht auf und schob den Degen wieder in den Stock. »Doc wird sich wundern, wenn du allein kommst; du kannst ihn ja darüber informieren, weshalb ich ausgestiegen bin. Vermutlich wirst du’s ihm aber nicht sagen können, weil du dir in den nächsten fünf Minuten noch das Genick brichst.«
Monk sah ihn an und grinste breit. Ham drückte die Tür auf, doch im selben Augenblick zuckte Monk zusammen.
»Hast du das eben gesehen?« fragte er bestürzt. »Was soll ich gesehen haben?« fragte Ham unfreundlich. »Und wo?«
»Jemand ist an mir vorbeigefahren«, meinte Monk beunruhigt. »Ich hab nicht aufgepaßt, aber da war etwas, entweder auf der anderen Straßenseite oder oben auf den Schienen oder dazwischen ...«
»Zwischen Straße und Schienen kann niemand fahren«, belehrte ihn Ham. »Da ist nur die Böschung, und die ist an dieser Stelle nur für ein Flugzeug passierbar. Ein Flugzeug hätte man hören müssen. Ich hab aber nichts gehört.«
Monk kratzte seinen struppigen Schädel, seine winzigen Augen funkelten.
»Ein Flugzeug hätte man hören müssen«, wiederholte er nachdenklich. »Bestimmt war es kein Flugzeug, eher eine Eisenbahn ...«
»Du bist von Sinnen«, stellte Ham kühl fest. Er hatte nicht mehr die Absicht auszusteigen, und genau genommen war er auch vorher dazu nicht recht entschlossen gewesen. Er hatte Monk nur ärgern wollen, weil die beiden Männer kaum eine Gelegenheit verstreichen ließen, miteinander zu streiten. Sie zankten sich beinahe immer, der ständige Streit war ihnen schon so selbstverständlich geworden, daß sie es kaum noch bemerkten, wenn sie einander in den Haaren lagen. »Eisenbahnen fahren nicht auf der Straße, deswegen haben die Gesellschaften für ungeheure Summen Schienen gebaut. Ich sehe nur die Scheinwerfer eines Wagens, der weiter vorn auf unsere Straße einbiegt, und mehr gibt’s und gab es nicht zu sehen.«
»Seltsam ...«, meinte Monk.
»Das geht vorüber«, sagte Ham mitfühlend. »Du brauchst nur ein paar Wochen Ruhe in einer guten Nervenheilanstalt. Ich werde dich von Zeit zu Zeit besuchen.«
Monk startete den Wagen und fuhr langsam weiter, aber er schielte immer wieder mißtrauisch zu den Bahngleisen hinüber. Zehn Minuten zuvor war der Nordexpreß an ihnen vorbeigerast, und Ham war ganz sicher,
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