DS074 - Der teuflische Plan
einen angefangenen Brief und las:
Schwesterherz,
wenn Dir dieser Brief zerfahren vorkommt, liegt es daran, daß ich langsam verrückt werde. Seit Stunden und Stunden bin ich völlig außer mir gewesen. Und endlich ist mir eine Lösung eingefallen. Ich habe endlich an einen Mann gedacht, der dieses verzwickte Problem für mich lösen könnte. Er ist wahrscheinlich der einzige Mann auf der Welt, der fähig wäre, damit fertig zu werden.
Erinnerst Du Dich an den Mann, von dem Du einmal sagtest, Du wünschtest, daß ich so wäre wie er?
Sobald Du diesen Brief erhältst, nimm ihn und bring ihn zu ihm. Ich werde Dir die ganze Sache aufschreiben. Es ist eine ganz unglaubliche, ja erschreckende Geschichte, phantastischer als aus Tausendundeiner Nacht ...
Es war die Handschrift ihres Bruders. Dessen war sie ganz sicher. Sie fuhr plötzlich zusammen. Der verhutzelte Mann hatte sie an der Schulter berührt.
»Entschuldigen Sie«, sagte er. »Ich muß jetzt gehen.«
»Ich verstehe dies alles immer noch nicht«, sagte Liona und schüttelte wie benommen den Kopf.
»Es ist doch ganz einfach.« Der kleine Mann schien es jetzt eilig zu haben. »Dies sind die Sachen Ihres Bruders. Er wollte, daß Sie sie bekommen.«
»Aber weshalb haben Sie sich dafür solche Mühe gemacht?«
Der andere zuckte die Achseln und sah zur Tür hin. »Ich muß jetzt wirklich gehen.«
Liona kam zu dem Schluß, daß sie diesen verhutzelten Mann jetzt nicht mehr mochte. Es war etwas an ihm, was sie ängstigte. Trotz und Wut packten sie.
»Jetzt hören Sie mal«, sagte sie scharf. »Irgend etwas an der Sache stimmt doch nicht!«
Der kleine Mann sah sie durchdringend an, und dann tat er etwas Seltsames. Er begann zu lachen, nicht laut, sondern leise und meckernd, beinahe wie eine Hyäne. Wieder überlief es Liona kalt. Der kleine Mann ging rückwärts zur Tür, öffnete sie und trat in den Gang hinaus, schloß die Tür hinter sich.
Als Liona gleich darauf selber zur Tür eilte und auf den Flur hinaussah, war da niemand mehr. Sie konnte nicht verstehen, wie er so schnell verschwunden war.
Das Bündel unter dem Arm trat Liona aus dem Hotel auf die Straße hinaus. Es war ein warmer Tag. Hoch am blauen Himmel kurvten zwei Flugzeuge und zogen eine Reklameschrift für den Zirkus hinter sich her.
Liona ging langsam, tief in Gedanken verloren, dahin. Sie konnte sich eines unheimlichen Gefühls nicht erwehren, als sie an den verhutzelten Mann zurückdachte. Nicht, daß sie leicht zu ängstigen war. Nachts allein an einem Friedhof vorbeizugehen, hätte ihr absolut nichts ausgemacht. Doch an diesem kleinen alten Mann war etwas gewesen, das sie das Gruseln gelehrt hatte.
Dann überquerte Liona Ellison die Straße. Es war ein warmer Tag gewesen, als sie die andere Straßenseite verlassen hatte, doch nun war es plötzlich ein kalter Tag.
2.
Es war so plötzlich, so völlig unerwartet gekommen, daß sie sich der Bedeutung nicht gleich bewußt wurde. Sie machte eine instinktive Bewegung, den Kragen ihrer Jacke zuzuschlagen und wegen des kalten Windes die Schultern einzuziehen. Dann blieb sie ruckartig stehen.
Kalt? Aber einen Moment zuvor war es doch noch warm, beinahe heiß gewesen!
Der Widerspruch ließ sie nervös auflachen, aber irgendwie klang dieses Lachen nicht echt, nicht einmal für sie selbst. Sie sah zum Himmel auf, ob sich dort vielleicht ein Gewitter zusammenbraute. Es waren auch tatsächlich ein paar Wolken aufgekommen, die kalt und grau aussahen.
Liona setzte ein entschlossenes Gesicht auf und vertrat dem erstbesten Fußgänger, der daherkam, den Weg. Es war ein Mann.
»Entschuldigen Sie«, sagte sie. »Aber ist es kalt?«
»Wie bitte?« Der Mann starrte sie an.
»Ich – äh – wollte es einfach nur wissen«, erklärte Liona.
»Fühlen Sie sich nicht gut?« Er sah sie stirnrunzelnd an. »Oder ist dies eine neue Art, Männer anzusprechen? Falls dem so ist, lassen Sie sich gesagt sein, daß ich Diakon bin und nicht im mindesten interessiert an ...«
»Wenn Sie eine einfache zivilisierte Frage nicht ebenso beantworten können oder wollen«, sagte Liona, »warum gehen Sie dann nicht endlich weiter?«
»Was es so alles gibt!« sagte der Mann kopfschüttelnd und ging würdevoll weiter.
Liona starrte ihm nach. Vielleicht, dachte sie, würde sie sich jetzt besser fühlen, wenn sie darüber lachte. Sie tat es. Aber es half nicht viel.
Noch half es ihrem Gemütszustand, daß sie plötzlich einen ausgesprochenen
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