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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tschingis Aitmatow
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denn mit dir?" „Nichts."

    Den ganzen folgenden Tag gab Danijar auf keine Weise zu erkennen, ob er gekränkt war. Wie immer verhielt er sich ruhig und schweigsam, nur hinkte er stärker als gewöhnlich, besonders wenn er Säcke trug. Sicher war am Tag zuvor seine Wunde wieder aufgebrochen. Das erinnerte uns fortwährend an unsere Schuld vor ihm. Hätte er auch nur einmal gelacht oder gescherzt, dann wäre uns leichter gewesen; so aber blieb die Spannung zwischen uns.
    Dshamila versuchte ebenfalls so zu tun, als sei nichts Besonderes vorgefallen. Sie gab sich stolz wie immer, sie lachte sogar, doch ich sah, daß sie sich den ganzen Tag über nicht recht wohl fühlte.
    Wir kehrten erst spät vom Bahnhof zurück. Danijar fuhr vornweg. Es war eine herrliche Nacht. Wer kennt nicht die Augustnächte mit ihren fernen und doch so nahen, ungewöhnlich klaren Sternen! Jedes Sternchen war deutlich zu sehen. Eines davon, es schien mit Reif bedeckt und von einem Strahlenkranz blitzender Eiskristalle umgeben, blickte in naivem Staunen vom dunklen Himmel herab zur Erde. Während wir durch die Schlucht fuhren, sah ich lange zu ihm hinauf. Die Pferde trabten freudig heimwärts; unter den Rädern knirschte der Schotter. Der Wind trug den bitteren Blütenstaub des Wermuts aus der Steppe herüber, in der Luft lag ein feiner Duft nach sich abkühlendem reifem Getreide; im Verein mit dem Geruch des Wagenteers und der schweißigea Pferdegeschirre verwirrte einem das ein wenig den Kopf. Auf der einen Seite stiegen mit Heckenrosen bewachsene dunkle Felsen über dem Weg auf, und zur anderen toste, weit unten im Dickicht der Purpurweiden und der wildwachsenden Pappeln, der rastlose Kurkuräu. Ab und zu brausten irgendwo hinter uns Eisenbahnzüge mit alles übertönendem Getöse über eine Brücke; und lange hallte noch das Klopfen der Räder nach.
    Es war schön, in der nächtlichen Kühle dahinzufahren, auf die schwankenden Pferderücken zu schauen, in die Augustnacht zu lauschen und ihre Düfte einzuatmen. Dshamila fuhr vor mir. Sie ließ den Pferden freien Lauf, sah mal hierhin, mal dorthin und sang leise vor sich hin. Ich wußte, was in ihr vorging, unser Schweigen bedrückte sie. In einer solchen Nacht durfte man nicht schweigen, in einer solchen Nacht mußte man singen!
    Und sie sang. Vielleicht tat sie es auch deshalb, weil sie die frühere Unbefangenheit in unseren Beziehungen zu Danijar wiederherstellen und das Gefühl ihrer Schuld vor ihm loswerden wollte. Sie hatte eine klangvolle, kecke Stimme, und sie sang die üblichen Liedchen, die man im Ail kannte, wie „Mit einem Seidentüchlein will ich dir winken" oder „Auf fernen Straßen zieht mein Liebster". Sie kannte viele Lieder und sang sie mit schlichter Hingabe; man lauschte ihr gera. Plötzlich brach sie ab und rief dem vorausfahrenden Danijar zu: „He, Danijar, sing doch auch mal was!"
    „Sing du nur, Dshamila!" erwiderte Danijar verlegen, die Pferde ein wenig zügelnd. „Ich höre dir zu, beide Ohren habe ich aufgesperrt."
    „Du denkst wohl, wir haben keine Ohren? Überleg dir mal was! Aber wenn du nicht willst, dann laß es bleiben!" Sie stimmte ein neues Lied an.
    Wer weiß, weshalb sie ihn gebeten hatte zu singen, vielleicht hatte es keinen besonderen Grund, vielleicht wollte sie ihn in ein Gespräch ziehen. Das war wohl am wahrscheinlichsten, denn kurz danach rief sie wieder: „Sag mal, Danijar, warst du schon mal verliebt?" Sie lachte selbst über ihre Frage.
    Danijar antwortete nicht. Auch Dshamila sagte nichts mehr.
    Da hat sie den Richtigen gebeten zu singen! dachte ich lächelnd. An einem kleinen Wasserlauf, der den Weg kreuzte, verlangsamten die Pferde den Gang. Ihre Hufe klirrten auf den nassen silberglänzenden Steinen. Als wir den Bach durchquert hatten, trieb Danijar seine Tiere wieder an und begann unerwartet mit befangener, bei jedem Schlagloch stockeader Stimme zu singen:

    Ihr meine Berge, ihr blauweißen Berge, Land meiner Ahnen und Väter!

    Er hielt inne und hüstelte, doch die nächsten beiden Verse sang er mit tiefer Bruststimme, wenn auch ein bißchen heiser:

    Ihr meine Berge, ihr blauweißen Berge,
    wo meine Wiege stand...

    Hier stockte er abermals, als sei er erschrocken. Er sang nicht weiter.
    Ich stellte mir lebhaft vor, wie verlegen er war. Doch schon aus diesen zaghaften Ansätzen klang etwas ungewöhnlich Erregendes. Er mußte eine schöne Stimme haben, man glaubte einfach nicht, daß es Danijar war, der da eben gesungen hatte.
    „Sieh

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