Dshamila
Füßen.
Ich kam erst wieder zur Besinnung, als mich plötzlich jemand derb und schmerzhaft am Arm packte. Ich erkannte Dshamila nicht sofort. Sie sah totenbleich aus, die Pupillen in ihren weit geöffneten Augen waren riesengroß, und ihre Lippen zuckten noch von dem eben verstummten Lachen. Wir standen nicht mehr allein, alle, die sich gerade auf dem Hof aufhielten, auch der Abnehmer, waren am Fuße des Brettersteges zusammengelaufen. Danijar machte noch zwei Schritte; er wollte den Sack auf dem Rücken zurechtrücken und sank langsam in die Knie. Dshamila bedeckte ihr Gesicht mit den Händen. „Wirf ihn weg! Wirf den Sack weg!" schrie sie.
Doch das tat Danijar sonderbarerweise nicht, obwohl er seine Last längst neben dem Laufsteg hätte fallen lassen können, allein schon, um die Träger hinter sich nicht aufzuhalten. Als er Dshamilas Stimme hörte, riß er sich zusammen und streckte sein Bein. Er machte einen Schritt und taumelte wieder.
„So wirf ihn doch weg, Hundesohn!" brüllte der Abnehmer. „Wegwerfen!" schrien die Leute.
Doch Danijar fand auch diesmal das Gleichgewicht wieder. „Nein, er wirft ihn nicht weg", murmelte jemand überzeugt.
Alle, die sowohl, die Danijar auf dem Laufsteg folgten, als auch die am Fuß des Kornbergs Stehenden, fühlten offenbar, daß es einen Grund hatte, wenn er den Sack nicht abwarf, solange ihn dieser nicht zu Boden riß. Totenstille trat ein. Hinter der Mauer pfiff in langen Intervallen eine Lokomotive.
Danijar stieg schwankend wie ein Betäubter unter dem heißen Blechdach weiter nach oben. Die Bretter bogen sich unter ihm. Alle zwei Schritte hielt er inne, mit Mühe das Gleichgewicht haltend. Nachdem er Kräfte gesammelt hatte, setzte er seinen Weg fort. Die hinter ihm suchten sich ihm anzupassen und blieben ebenfalls alle zwei Schritte stehen. Das zermürbte und kostete Kraft, doch niemand empörte sich, niemand schimpfte .auf Danijar. Es war, als wären die Träger alle durch ein unsichtbares Seil miteinander verbunden, als bewegten sie sich mit ihrer Last auf einem gefährlichen, schlüpfrigen Pfad, auf dem das Leben des einen vom anderen abhing. In ihrem einträchtigen Schweigen und dem gleichmäßigen Schwanken lag ein einheitlicher, schwerer Rhythmus. Zwei Schritte hinter Danijar her, eine kurze Rast, und wieder zwei Schritte. Die Frau, die unmittelbar hinter ihm ging, sah ihn unendlich mitleidig und flehend an. Sie hielt sich selbst kaum noch auf den Beinen, doch sie fühlte mit ihrem Vordermann.
Nur ein kleines Stück war noch zu überwinden, dann endete der schräge Teil des Laufsteges. Danijar taumelte wieder, das verwundete Bein gehorchte ihm nicht mehr. Er konnte im nächsten Augenblick stürzen, wenn er den Sack nicht fallen ließ.
„Lauf! Stütz ihn von hinten!" rief mir Dshamila zu. Sie selbst streckte ratlos die Arme aus, als könnte sie Danijar damit helfen. Ich schlängelte mich auf dem Laufsteg zwischen den Trägern und Säcken durch und erreichte Danijar. Er warf unter dem Ellbogen hervor einen Blick auf mich. An seiner roten Stirn pulsten die Adern, der Schweiß rann ihm übers Gesicht, die blutunterlaufenen Augen blitzten mich zornig an. Ich wollte den Sack stützen. „Weg da!" keuchte er drohend. Mühsam ging er weiter.
Als er schweratmend und hinkend wieder nach unten kam, hingen seine Arme schlaff herab. Die Menge trat schweigend vor ihm auseinander, doch der Abnehmer konnte nicht an sich halten und schrie: „Was ist denn mit dir los, Kerl, bist du verrückt? Bin ich denn kein Mensch, hätte ich dir nicht erlaubt, den Sack hier unten auszuschütten? Weshalb schleppst du so ein Riesending?" „Das ist meine Sache", antwortete Danijar leise.
Er spuckte zur Seite aus und ging zu seinem Wagen. Wir aber wagten nicht den Blick zu heben. Wir schämten uns und machten uns Vorwürfe, weil Danijar unseren törichten Streich so ernst genommen hatte.
Die ganze Nacht fuhren wir schweigend. Danijar sagte ja nie etwas, deshalb konnten wir nicht ergründen, ob er uns zürnte oder schon alles vergessen hatte. Doch uns war schwer ums Herz, und wir hatten ein schlechtes Gewissen.
Als wir am nächsten Morgen die Wagen auf dem Druschplatz beluden, nahm Dshamila den unseligen Sack, trat mit einem Fuß darauf und riß ihn mittendurch.
„Hier hast du den Fetzen!" sagte sie und warf ihn der verwunderten Frau an der Waage vor die Füße. „Und sag dem Brigadier, er soll uns künftig nicht solche Dinger andrehen!"
„Was soll denn das heißen? Was ist
Weitere Kostenlose Bücher