Dshamila
„Der ist wohl nicht bei Trost!" riefen die Umstehenden ihm nach.
Den Soldaten hatten die Leute schon längst weggeführt, aber Dshamila und ich standen noch immer mitten im Hof und sahen dem sich entfernenden Wagen nach.
„Komm, Dshene", sagte ich.
„Fahr allein, laß mich!" antwortete Dshamila traurig.
So fuhren wir zum erstenmal in dieser ganzen Zeit getrennt. Meine Lippen brannten von der Hitze. Die rissige, versengte, tagsüber bis zur Weißglut erhitzte Erde überzog sich, als sie sich jetzt abkühlte, mit einem salzfarbenen Grau. In der gleichen Farbtönung flimmerte die Luft vor der verschwommenen, formlosen untergehenden Sonne. Am trüben Horizont ballten sich gelbrote Gewitterwolken. Ab und zu fegte ein trockener, heißer Windstoß über die Steppe, er puderte die Mäuler der Pferde mit feinem Staub, blies unter ihre grauen Mähnen, stürmte weiter über die Bodenwellen und zauste die Wermutstauden. Es wird Regen geben! dachte ich.
Wie verlassen kam ich mir vor, was für eine Unruhe ergriff mich! Ich trieb die Pferde an, die fortwährend nur Schritt laufen wollten. Langbeinige, magere Trappen hasteten aufgeregt in die Schlucht. Der Wind trieb vergilbte Blätter der Wüstenklette auf den Weg. Sie mußten von der kasachischen Seite herübergeweht worden sein, denn die Pflanze gedieh nicht bei uns. Die Sonne ging unter. Ringsum keine Menschenseele, nur die von der Glut des Tages ermattete Steppe.
Als ich auf dem Druschplatz ankam, war es bereits dunkel. Tiefe Stille herrschte, kein Lüftchen regte sich. Ich rief nach Danijar.
„Er ist zum Fluß gegangen", sagte mir der Wächter. „Bei der Schwüle wollte keiner dableiben, sie sind alle zu Hause. Ohne Wind gibt's hier ja auch nichts zu tun." Ich trieb die Pferde zum Weiden und beschloß, zum Fluß zu laufen, ich kannte den Lieblingsplatz Danijars an der Böschung. Er saß in gebückter Haltung da, den Kopf auf den Knien, und lauschte dem unter ihm tosenden Fluß. Ich wäre gern zu ihm gegangen, hätte ihn umarmt und freundschaftlich mit ihm gesprochen, doch was sollte ich sagen? So stand ich nur eine Weile in seiner Nähe und lief dann zurück. Lange lag ich im Stroh, schaute in den von Wolken verdunkelten Himmel und dachte: Weshalb ist das Leben so unverständlich und verworren?
Dshamila war noch immer nicht eingetroffen. Wo mochte sie stecken? Ich konnte nicht einschlafen, obgleich mich die Müdigkeit quälte. Tief in den Wolken über den Bergen zuckten lautlose blaue Blitze.
Als Danijar kam, schlief ich noch nicht. Er lief ziellos auf dem Druschplatz umher und blickte von Zeit zu Zeit auf den Weg hinaus. Dann legte er sich neben mich ins Stroh. Er wird fortgehen, er wird jetzt nicht mehr im Ail bleiben! dachte ich. Aber wo sollte er hin? Wer brauchte ihn, den Einsamen, Heimatlosen? Ich schlief ein. Halb unbewußt hörte ich noch das träge Rattern eines herannahenden Wagens. Offenbar kam Dshamila. Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen hatte, als plötzlich dicht neben mir Schritte im Stroh raschelten und mich etwas wie ein nasser Flügel leicht an der Schulter berührte. Ich öffnete die Augen. Es war Dshamila. Sie kam in feuchtem, ausgewrungenem Kleid vom Fluß. Unruhig sah sie sich nach allen Seiten um und ließ sich zu Häupten Danijars nieder.
„Danijar, ich bin gekommen, von selbst bin ich gekommen", sagte sie leise.
Ringsum herrschte Stille. Ein Blitz leuchtete auf. „Du bist gekränkt? Sehr gekränkt, ja?" Wieder Stille. Nur ein vom Wasser unterspülter Erdklumpen stürzte mit weichem Plätschern in den Fluß. „Was kann ich denn dafür? Wir sind beide nicht schuld daran."
Fern über den Bergen grollte der Donner. Einen Augenblick lang stand Dshamilas Profil im Licht eines Blitzes. Sie sah sich um und warf sich an Danijars Brust. Ihre Schultern zuckten in seinen Armen. Dann legte sie sich neben ihm ins Stroh.
Ein heftiger, sengender Wind fegte aus der Steppe herüber. Er wirbelte das Stroh auf, rüttelte an der Jurte, die am Rand des Druschplatzes stand, und tanzte wie ein schiefer Kreisel über den Weg. Wieder zuckten in den Wolken die blauen Blitze, und nun krachte ganz in unserer Nähe mit trockenem Knall auch der Donner. Es war unheimlich und großartig zugleich. Das Gewitter zog heran, das letzte Sommergewitter.
„Hast du wirklich gedacht, ich gebe dich seinetwegen her?" flüsterte Dshamila inbrünstig. „Nein, niemals! Er hat mich nie geliebt. In seinen Briefen schreibt er nur ganz zum Schluß an mich. Ich brauche ihn
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