Dshamila
Als mich der Brigadier sah, hellte sich sein Gesicht merklich auf — ihm war offenbar ein Gedanke gekommen.
„Warum haben Sie eigentlich Angst um Ihre Schwiegertochter? Ihr Kajyn hier", er zeigte erfreut auf mich, „läßt bestimmt niemand an sie heran, da können Sie sicher sein. Er ist doch ein Prachtbursche, unser Seit. Die Jungen sind heutzutage unsre Ernährer, unsre ganze Stütze." Die Mutter ließ den Brigadier nicht weiterreden.
„Ja, wie siehst du denn aus, du Rumtreiber?" jammerte sie. „Und die Haare, ganz verfilzt sind sie schon! Unser Vater ist mir der Richtige, findet nicht mal Zeit, seinem Sohn den Kopf zu scheren."
„Nun, dann soll sich das Söhnchen heute mal einen guten Tag bei den Alten machen und sich den Kopf scheren lassen!" meinte Orosmat, der Mutter schlau nach dem Munde redend. „Seit, bleib heute zu Haus, füttere die Pferde schön, und morgen früh geben wir Dshamila einen Wagen, dann arbeitet ihr beide zusammen. Hör gut zu: Du bist für sie verantwortlich. Sie können ganz beruhigt sein, Baibitsche, Seit wird schon dafür sorgen, daß ihr niemand was zuleide tut Und wenn's sein muß, schicke ich auch noch Danijar mit. Sie kennen ihn doch, er, ist kürzlich aus dem Krieg zurückgekehrt, ein stiller, ruhiger Mann. Wenn sie zu dritt das Korn zum Bahnhof fahren, wer wird es dann noch wagen, Ihre Schwiegertochter arnzurühren? Stimmt's, Seit? Was meinst du? Wir wollen Dshamila zum Fuhrmann machen, und die Mutter ist dagegen. Sprich du doch mal mit ihr." Mir schmeichelte das Lob des Brigadiers und seine Art, sich mit mir wie mit einem Erwachsenen zu beraten. Außerdem stellte ich mir sofort vor, wie schön es wäre, zusammen mit Dshamila zur Bahnstation zu fahren. Daher sagte ich mit ernster Miene zur Mutter: „Es wird ihr schon nichts passieren. Denkst du, die Wölfe fressen sie, oder was?"
Ich spuckte wie ein alter Fuhrmann überlegen durch die Zähne und ging davon, die Peitsche hinter mir herschleifend und rhythmisch die Schultern wiegend.
„So ein Bengel!" sagte die Mutter verwundert, aber wohl auch ein wenig stolz, doch im gleichen Augenblick schrie sie zornig: „Ich werde dir Wölfe zeigen! Was weißt du denn schon, du Neunmalkluger?"
„Aber wer soll's denn wissen, wenn nicht er, er ist doch der Dshigit zweier Familien! Ihr könnt stolz auf ihn sein!" meinte Orosmat und sah die Mutter mit einem vorsichtigen Blick an, als fürchtete er, sie könnte sich wieder sträuben. Er wußte nichts mehr zu sagen und lächelte verlegen.
Doch die Mutter widersprach ihm nicht. Sie ließ auf einmal den Kopf hängen und sagte mit einem tiefen Seufzer: „Ach, was heißt Dshigit, ein Kind ist er noch, und doch muß er Tag und Nacht arbeiten. Unsere lieben Dshigiten sind Gott weiß wo, unsere Höfe vereinsamt wie ein verlassenes Nomadenlager."
Ich war schon weit weg und hörte nicht mehr, was die Mutter noch sagte. Im Gehen schlug ich mit der Peitsche so heftig an die Hausecke, daß Staub aufwirbelte, und ohne das Lächeln meines Schwesterchens zu erwidern, das auf dem Hof mit klatschendem Geräusch Saman formte, trat ich festen Schrittes unter das Vordach. Dort hockte ich mich nieder und wusch mir in aller Ruhe die Hände, indem ich mir Wasser aus einem Krug darübergoß. Dann ging ich ins Haus und trank eine Tasse saure Milch; die zweite nahm ich mit zum Fensterbrett und brockte mir Brot hinein.
Die Mutter und Orosmat standen noch immer auf dem Hof, doch sie stritten nicht mehr, sondern redeten ruhig und leise miteinander. Wahrscheinlich sprachen sie von meinen Brüdern. Die Mutter fuhr sich von Zeit zu Zeit mit dem Ärmel über die geschwollenen Augen, nickte nachdenklich als Antwort auf die Worte Orosmats, der sie offenbar tröstete, und schaute mit verschleiertem Blick irgendwohin in die Ferne, über die Bäume hinweg, als hoffe sie, ihre Söhne dort zu entdecken.
In ihrem Kummer schien die Mutter die Einwände gegen den Vorschlag des Brigadiers vergessen zu haben. Und dieser, zufrieden, daß er sein Ziel erreicht hatte, schlug das Pferd mit der Riemenpeitsche und ritt in schnellem Paßgang vom Hof.
Damals ahnten weder die Mutter noch ich, wie das alles enden sollte.
Ich zweifelte keinen Augenblick daran, daß Dshamila mit dem zweispännigen Wagen fertig werden würde. Sie konnte mit Pferden umgehen, sie war ja die Tochter eines Pferdehirten aus Bakair, einem Ail in den Bergen. Auch unser Sadyk war Pferdehirt. Einmal im Frühling beim Wettrennen soll Dshamila schneller gewesen
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