Dshamila
sein als er. Wer weiß, ob es wahr ist, doch man sagte, daß der in seiner Ehre gekränkte Sadyk sie daraufhin entführte. Andere dagegen beteuerten, sie hätten aus Liebe geheiratet. Wie es auch immer gewesen sein mag, sie lebten nur ganze vier Monate zusammen. Dann begann der Krieg, und Sadyk wurde zur Armee einberufen.
In Dshamilas Art lag etwas Männliches, Schroffes, ja zuweilen sogar Grobes. Vielleicht rührte es daher, daß sie von frühester Kindheit an mit ihrem Vater, für den sie Tochter und Sohn zugleich war, Pferde jagte. Auch bei der Arbeit packte sie zu wie ein Mann. Mit den Nachbarinnen vertrug sie sich gut, doch wenn man sie ungerecht behandelte, dann konnte sie besser schimpfen als jede andere; es kam sogar vor, daß sie jemand bei den Haaren zog. Schon mehrmals hatten sich Nachbarn beklagt: „Was habt ihr nur für eine Schwiegertochter? Sie ist doch gerade erst in euer Haus gekommen, aber mit dem Mund ist sie schon sehr vorneweg! Die hat weder Achtung noch Schamgefühl!" „Laßt nur, sie ist schon richtig!" antwortete dann die Mutter. „Sie sagt den Leuten gern die Wahrheit ins Gesicht. Das ist besser, als wenn's einer heimlich tut und hinter dem Rücken die Zunge wetzt. Eure Schwiegertöchter spielen die Sanftmütigen, Stillen, dabei sind sie wie faule Eier: von außen rein und glatt, doch innen - da muß man sich die Nase zuhalten."
Der Vater und die jüngere Mutter behandelten Dshamila nie so streng und kleinlich, wie es Schwiegereltern gewöhnlich tun. Sie liebten sie und wünschten nur, daß sie Gott und ihrem Mann treu bliebe.
Ich konnte die beiden verstehen. Unsere Familien hatten vier Söhne in die Armee gegeben; mein Vater und die jüngere Mutter fanden Trost in Dshamila, der einzigen Schwiegertochter auf unseren Höfen, deshalb war sie ihnen lieb und wert. Meine leibliche Mutter hingegen verstand ich nicht. Sie war nicht der Mensch, der jemand so leicht ins Herz schloß. Sie hatte ein herrisches, rauhes Wesen. Nie wich sie von ihren Lebensregeln ab. Jedes Jahr stellte sie zu Beginn des Frühlings im Hof unsere Nomadenjurte auf, die mein Vater schon in seiner Jugend gebaut hatte, und räucherte sie mit Wacholder aus. Uns erzog sie zu strenger Arbeitsamkeit und Achtung vor den Alten. Von allen Familienmitgliedern verlangte sie unbedingte Unterordnung. Dshamila jedoch zeigte sich vom ersten Tag an, da sie zu uns kam, nicht so, wie es der Schwiegertochter geziemte. Sie hörte wohl auf die Alten und verehrte sie, doch niemals verneigte sie sich vor ihnen. Dafür spöttelte sie aber auch nicht insgeheim, zur Seite abgewandt, über sie, wie die anderen jungen Frauen. Sie sagte stets geradeheraus, was sie dachte, und scheute sich nicht, ihre Meinung zu äußern. Die Mutter stimmte ihr oft zu und unterstützte sie, doch das entscheidende Wort behielt sie sich stets vor. Mir scheint, sie sah in Dshamila, deren aufrechte Denkart und deren Sinn für Gerechtigkeit ihr wesensverwandt waren, einen ihr ebenbürtigen Menschen und träumte im stillen davon, sie eines Tages auf ihren Platz zu stellen und aus ihr eine ebenso selbstbewußte Hausfrau, eine Baibitsche, eine Hüterin des häuslichen Herdes, zu machen, wie sie selbst es war.
„Danke Allah, meine Tochter", belehrte sie Dshamila, „daß du in ein ordentliches, gesegnetes Haus gekommen bist. Das ist dein Glück. Das Glück einer Frau besteht darin, daß sie Kinder gebiert und daß im Hause kein Mangel herrscht. Du bekommst mit Allahs Hilfe alles, was wir, die Alten, erworben haben; ins Grab nehmen wir es ja nicht mit. Das Glück aber, das bleibt nur bei dem, der seine Ehre und sein Gewissen bewahrt. Denk daran, gib auf dich acht!"
Etwas störte jedoch die Mutter an Dshamila trotz allem:
sie war ihr zu ausgelassen, zu kindlich in ihrem Frohsinn. Es geschah, daß sie plötzlich, scheinbar völlig ohne Grund, laut und herzhaft lachte. Wenn sie von der Arbeit kam, dann trat sie nicht ruhig und gesittet in den Hof, sondern sie sprang über den Aryk und rannte herein. Mir nichts, dir nichts umarmte und küßte sie bald die eine Schwiegermutter, bald die andere.
Dshamila sang auch gern; stets trällerte sie vor sich hin, selbst in Gegenwart der Alten. Das alles vertrug sich natürlich nicht mit den üblichen Ansichten über das Verhalten einer Schwiegertochter in der Familie, doch beide Schwiegermütter beruhigten sich damit, daß sie mit der Zeit schon gesetzter werden würde, in der Jugend waren ja schließlich alle so. Für mich aber gab es
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