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Dshamila

Dshamila

Titel: Dshamila Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tschingis Aitmatow
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Liedchen anstimmen." Er streckte frech die Hand aus und schnippte mit den Fingern. Dshamila wollte sich auf ihn stürzen, etwas sagen, doch sie schwieg. Sie wußte, daß es nicht lohnte, mit ihm Streit anzufangen, und warf ihm nur einen langen, haßerfüllten Blick zu. Dann spuckte sie voller Ekel aus, nahm die Heugabel und ging weg.
    Ich stand währenddessen auf einem Karren hinter dem Heuhaufen. Als Dshamila mich sah, wandte sie sich jäh zur Seite. Sie ahnte, in was für einer Verfassung ich war. Ich hatte das Gefühl, als sei nicht sie, sondern ich tödlich beleidigt worden, als hätte man mir die größte Schande angetan. In unbändigem Zorn und mit blutendem Herzen tadelte ich sie: „Weshalb läßt du dich mit solchen Leuten ein, warum sprichst du mit ihnen?" Bis zum Abend ging Dshamila finster und mürrisch umher; sie wechselte kein Wort mit mir und lachte nicht wie sonst. Als ich mit dem Karren zu ihr kam, stieß sie, um mir nicht Gelegenheit zu geben, von der furchtbaren Kränkung zu sprechen, die sie im Inneren verbarg, mit weit ausholender Bewegung die Gabel in einen Heuhaufen, hob ihn hoch und trug ihn, das Gesicht dahinter verborgen, vor sich her. Mit einem Ruck warf sie die Last ab und stürzte sich sogleich auf den nächsten Haufen. Der Karren wurde schnell voll. Als ich wegfuhr, sah ich mich noch einmal um. Dshamila stand, auf den Stiel ihrer Heugabel gestützt, eine Zeitlang in sich versunken da, dann besann sie sich plötzlich und machte sich wieder an die Arbeit.
    Als wir den letzten Karren beladen hatten, blieb sie wieder stehen und blickte lange in die untergehende Sonne. Sie schien die ganze Welt vergessen zu haben. Weit hinter dem Fluß, dort, wo die kasachische Steppe zu Ende ging, glühte die verblassende Abendsonne der Mahdzeit wie die Öffnung eines brennenden Tandyrs. Während sie langsam hinter den Horizont glitt, färbte sie die leichten Wölkchen am Himmel mit ihrem Schein purpurrot, sandte sie ihr letztes Licht über die lilaschimmernde Steppe, in deren Mulden schon das Dunkel der frühen Dämmerung lag. Dshamila blickte still verzückt in das Abendrot, als schaue sie ein märchenhaftes Traumbild. Liebreiz leuchtete aus ihrem Gesicht, kindlich weich lächelte ihr halbgeöffneter Mund. Und da wandte sie sich um, als wolle sie auf meine unausgesprochenen Vorwürfe antworten, die sich mir noch immer auf die Lippen drängten. Sie sprach, als setzten wir ein Gespräch fort: „Denk doch nicht mehr daran, Kitschinebala, laß ihn. Er ist ja kein Mensch!" Sie verstummte, verfolgte mit dem Blick den versinkenden Rand der Sonne, seufzte und fuhr nachdenklich fort: „Woher soll denn so einer wie dieser Osmon wissen, was man im Herzen empfindet? Niemand weiß das. Vielleicht gibt es solche Männer gar nicht auf der Welt."
    Ehe ich die Pferde gewendet hatte, war Dshamila schon zu den Frauen hinübergelaufen, die neben uns arbeiteten. Ihre lauten fröhlichen Stimmen hallten zu mir herüber. Schwer zu sagen, was in ihr vorgegangen sein mochte, vielleicht war ihr leichter ums Herz geworden, als sie das Abendrot sah, vielleicht freute es sie, daß sie gut gearbeitet hatte. Ich saß hoch oben auf dem heubeladenen Karren und betrachtete sie. Sie hatte ihr weißes Kopftuch abgebunden und lief, die Arme weit ausgebreitet, über die bereits im Abendschatten liegende abgemähte Wiese hinter einer Freundin her. Ihr Kleid flatterte im Wind. Da war auch mein Kummer plötzlich verschwunden. Lohnte es sich denn, über das Geschwätz dieses Osmon nachzugrübeln?
    „Also, hü!" rief ich eilig und schlug auf die Pferde ein.

    An jenem Tag wartete ich also, wie der Brigadier angeordnet hatte, auf den Vater, damit er mir den Kopf schere. In der Zwischenzeit wollte ich einen Brief von Sadyk beantworten. Auch in dieser Hinsicht gab es bei uns bestimmte Regeln: Meine Brüder schickten die Briefe an den Vater, der Postbote händigte sie der Mutter aus, und ich hatte sie zu lesen und zu beantworten. Ich wußte jedoch schon im voraus, was Sadyk schrieb, denn alle seine Briefe ähnelten einander wie die Lämmer einer Herde. Er begann stets mit den Worten: „Ich gebe Euch Nachricht, daß ich gesund bin." Dann ging es ganz sicher so weiter: „Ich schicke diesen Brief mit der Post meinen Verwandten, die im duftenden, blühenden Talas-Gebiet wohnen. Als ersten grüße ich meinen lieben, teuren Vater Dsholtschubai." Dann kam meine Mutter, dann die seine und danach wir anderen in strenger Rangordnung. Hierauf folgten die

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