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Du bist das Boese

Du bist das Boese

Titel: Du bist das Boese Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Costantini
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perfekten Hunger.«
    Genau das waren seine Worte: einen perfekten Hunger. Er schaltete die Scheinwerfer seines Cinquecento ein und richtete sie auf den wenige Meter breiten Sandstreifen, der uns vom Wasser trennte. Eine Minute später stand er in Unterhose da.
    »Los, lass du dich mal gehen, Michele!«, sagte er. Dann nahm er Anlauf und warf sich ins Meer. Ich sah ihn im Licht der Scheinwerfer losschwimmen.
    Keine Ahnung, was mich plötzlich packte. Mit Sicherheit etwas, das ich seit vielen Jahren nicht mehr empfunden hatte. Eine Minute später war auch ich im Wasser. Die Kälte verschlug mir den Atem, aber je energischer ich schwamm, um warm zu werden, desto größer wurde das vergessene, unverschämte, unbändige Glücksgefühl, das durch meinen ganzen Körper strömte.
    Die ofenwarmen, gefüllten Croissants waren der würdige Abschluss dieser langen Nacht.
    Allmählich lernte ich Angelo besser kennen. Hinter dem herzlichen und strahlenden Engelsgesicht verbarg sich ein einsames Herz, das zu früh auf sich allein gestellt war und einen sicheren Hafen suchte. Dieses Refugium fand er in der Liebe und in der Arbeit. Keine übertriebenen Ambitionen, keine Abenteuer. Ein ziemlich geregeltes Leben. Nicht mehr als zehn Gitanes am Tag und höchstens zwei Gläser Whisky, damit er beim Pokern einen klaren Kopf behielt. Jedes Mal, wenn wir in Rom eine Pianobar betraten, was in den folgenden Monaten häufig geschah, wiederholte sich die gleiche Szene. Die Sänger kannten Angelo und drängten ihn zu singen. Und die Sängerinnen wollten ihn auch noch abschleppen, doch er ließ sich nicht verführen. Darin war er wirklich das glatte Gegenteil von mir, oder vielleicht war er, was ich hätte sein können. Angelo war unangreifbar.
    Was das Pokern anging, stellte Angelo strenge Regeln auf. Begrenzter, fixer Einsatz, und am Ende des Abends wurde der gesamte Gewinn anteilig ausgezahlt, je nach Anzahl der Chips, die jeder vor sich liegen hatte. Fast immer gewann er, und die wenigen Male, die er verlor, war ich sicher, dass es absichtlich geschah, so wie bei unserer ersten Partie. Anfangs spielten wir mit meinem Bruder Alberto und einem seiner Kollegen, der ebenfalls Ingenieur war. Sie versuchten, Angelo dazu zu überreden, gemeinsam ein Casino zu sprengen, und waren auch bereit, ihren üppigen Lohn und ihre Aktienanlagen dafür zu verwenden. Angelo wollte aber nichts davon hören, stets unter Berufung auf seine katholische Moral.
    Wir sahen uns fast jeden Abend. Der Standardablauf war der folgende: eine Pizza zu viert – ich, Angelo, Paola und meine jeweilige Freundin. Dann ein kurzer Spaziergang inmitten der Nachtschwärmer von Trastevere. Auf dem prächtigen Platz vor der Chiesa di Santa Maria tranken wir noch ein letztes Bier und rauchten eine Zigarette. Nun gab es zwei Varianten: Entweder ich verschwand mit meiner jeweiligen Freundin, oder Angelo und ich verabschiedeten uns mit Paolas freundlicher Erlaubnis und drehten in meinem Spider oder seinem Cinquecento noch eine Runde durch Rom. Was meist der Fall war, wenn meine Begleitung mich nicht so sehr faszinierte, dass ich die Nacht mit ihr verbringen wollte. Angelo und ich saßen dann im Auto und redeten. Endlose kalte Winternächte mit heruntergekurbelten Fenstern, um den dicken Qualm loszuwerden. Laue Frühlingsnächte, in denen wir die ersten Mücken erschlugen. Unsere Gesprächsthemen reichten von banalen Ereignissen aus Sport und Politik bis hin zu tiefschürfenden existenziellen Problemen. Obwohl Angelo die Schule abgebrochen hatte, konnte er sehr gut argumentieren und seine christliche Sicht einer in Gut und Böse aufgeteilten Welt verteidigen.
    Diese metaphysischen Nächte voller Magie, die ohne augenscheinliches Motiv unser Leben erfüllten, ließen uns unzertrennlich werden.

Mai 1982
    Angelos Büro befand sich auf dem Anwesen, auf dem Cardinale Alessandrini auch wohnte, zwei identische kleine Villen mit je drei Stockwerken, umgeben von einem Park. Es lag an der Via della Camilluccia, einer der idyllischsten Gegenden der Stadt. Alessandrini bewohnte den dritten Stock einer der beiden Villen und hatte Dioguardi die zwei Etagen darunter zur Verfügung gestellt. Im zweiten Stock residierte die Verwaltung, der erste war für den Publikumsverkehr geöffnet, also für junge Priester und Schwestern, die eine Unterkunft suchten.
    An einem Samstag Anfang Mai hatte ich meinen freien Tag und wollte ihn dort besuchen. Es war ein herrlicher Vormittag, der Himmel war wie blank geputzt,

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