Du bist das Boese
einige sehr hässliche.
Mit meiner Frage wollte ich vor allem dieses alles durchdringende Schweigen brechen. »Weißt du, wo sie ist?«
»Sie hat mich Mitte August angerufen, kurz vor ihrer Abreise nach Afrika. Sie hat eine Spendenaktion für eine Stiftung organisiert, zum Andenken an Manfredi. Mit dem Geld will sie ein neues Krankenhaus bauen, nach dem Modell von Nairobi.«
Ich war weder überrascht noch empört. Linda Nardi lebte in einer anderen Welt, das wusste ich inzwischen.
»Ihrer festen Überzeugung nach hätte Manfredi die Frauen nicht getötet, wenn sie ihn nicht abgewiesen hätte«, erklärte Angelo.
»Und Elisa kann er auch nicht geschwängert haben, das weiß Linda aus eigener Erfahrung«, fügte ich hinzu.
Angelo nickte, in einen Gedanken vertieft. »Linda weiß, dass Manfredi Elisa angegriffen hat, aber sie weiß auch, dass er sie nicht getötet hat.«
Ich fragte nicht, woher Linda das wusste. Ich kannte die Antwort.
»Ihr hättet dabei draufgehen können, Angelo. Wenn du nur einen Augenblick gezögert hättest, hätte Manfredi euch erledigt.«
Er drehte sich zu mir um und sah mich an. »Es gibt Situationen, da zögere ich nicht, Michele. Ich habe immer wieder versucht, dir das begreiflich zu machen.«
Eine schwarze Wolke, die praktisch aus dem Nichts aufgetaucht war, schob sich plötzlich vor die Sonne, und eine kalte Böe fegte durchs Gras. Ich leerte meinen Whisky, um ein Frösteln zu unterdrücken. Angelo blickte ruhig ins Tal, aus einer Distanz, die ein Meter oder die Unendlichkeit sein konnte.
»Vor dem Urlaub bin ich noch einmal auf den Friedhof gegangen«, sagte ich. »Auf allen drei Gräbern standen frische Blumen.«
Angelo nickte. »Elisa liebte Tulpen. Einer türkischen Legende zufolge entstand diese Blume angeblich aus den Blutstropfen, die eine junge Frau aus Liebe vergoss.«
Die Blume stand vor meinen Augen, 1982 und 2005. Aber ich hatte sie nicht sehen wollen.
»Eine Tulpe auf Elisas Fensterbrett. Eine Tulpe in Manfredis Schublade. Eine Tulpe auf Margheritas Schreibtisch. Alle verwelkt, Angelo. Nur die nicht, die du zum Grab gebracht hast.«
Angelo Dioguardi sah mich mit einem entschuldigenden Lächeln an, das gleiche kindliche Lächeln, mit dem er sich damals in Paolas Badezimmer unter Stöhnen gekrümmt hatte, damit ich ein Mädel abschleppen konnte. Ein anderes Leben, derselbe Mann. Derselbe, der sich all die Jahre beim Pokern für seine genialen Bluffs entschuldigt hatte. Jetzt entschuldigte er sich bei mir für den Bluff, mit dem er das Leben selbst herausgefordert hatte. Ein Spiel um alles oder nichts.
»Margherita ähnelt ihr ein bisschen«, fuhr Angelo fort. »Sie ist so lebendig, so zuversichtlich und arglos. An dem Abend, als wir uns kennenlernten, erzählte sie mir, dass sie Tulpen liebe. Eine Weile gab ich mich der Illusion hin, ich könnte ins Leben zurückkehren. Dann sprang Elisas Mutter vom Balkon und erinnerte mich daran, wer ich bin.«
Wer bist du, Angelo Dioguardi? Einen einzigen Fehltritt hast du dir in deinem Leben gegönnt, wegen dieser jungen Göttin, und dann gleich diese Schwangerschaft. Für Michele Balistreri wäre die Angelegenheit mit einem brutalen »Addio, meine Süße« erledigt gewesen. Aber du hast alles auf dich genommen, die Lügen gegenüber deiner Verlobten und ihrem Onkel, die Abtreibung, die Tränen und Gewissensbisse von Elisa, die Padre Paul alles beichten wollte. Und einen Augenblick lang, einen einzigen Augenblick in deinem ganzen Leben, hast du dich, erdrückt von all dieser Last, von der Verzweiflung und der Wut überwältigen lassen.
Es war kühl geworden. Am Himmel waren schwarze Wolken aufgezogen. Grollend rückte ein Gewitter näher. In der Ferne zuckten bereits Blitze.
Angelo Dioguardi hatte beschlossen, die Menschen zu lieben und Gutes zu tun, doch das reichte ihm nicht. Als Linda Nardi ihn bat, ihr zu helfen, erzählte er ihr die ganze Wahrheit und nahm es auf sich, Manfredi zu töten, als letzte Sühne für seinen unermesslichen Frevel.
Angelo war es wichtig, mir zu erzählen, was ich schon wusste und lieber nie gehört hätte.
»Als ich zu Alessandrini hochkam, war er wütend. Er wusste, dass Paul mit Elisa zu Mittag gegessen hatte, und befahl mir, ihr zu kündigen. Ich geriet in Panik. Ich hatte Angst, Elisa könnte Paul von der Abtreibung erzählen, da die beiden immer häufiger miteinander sprachen. Dann riefen Alessandrini und ich dich nach oben, und als du auf dem Weg warst, sagte ich zum Kardinal, ich
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