Du bist das Boese
deinem kaputten Leben anstellen willst. Um mit dir ins Reine zu kommen«, hatte er mich anfangs zu trösten versucht.
Als könnte er die zweiunddreißig wilden Jahre seines kleinen Bruders einfach ausradieren. So war Alberto schon immer. Zupackend, optimistisch und hochintelligent. Diese Eigenschaften hatte er von unserem Vater, der nach dem Zweiten Weltkrieg von Palermo nach Tripolis ausgewandert war. Papa stammte aus einer kleinbürgerlichen sizilianischen Familie, hatte in Rom Ingenieurwesen studiert und sich in Libyen zu einem reichen Unternehmer hochgearbeitet. Er beherrschte die seltene Kunst, durch die Sümpfe der italienischen Politik zu navigieren, indem er die allernötigsten Zugeständnisse machte und sich der Mächtigen notfalls auch bediente. Er war katholischer als die Katholiken – aus Überzeugung, aber auch, weil es von Vorteil war – und zögerte nicht, die Tochter des mächtigsten italienischen Großgrundbesitzers in Libyen zu heiraten, um von Anfang an in die richtigen Kreise zu gelangen. Und während seine linke Hand Geschäfte mit den Juden machte, machte seine rechte Geschäfte mit den Arabern. Mit dem Westen paktierten sie alle beide.
Was seine Fähigkeiten anging, ähnelte Alberto meinem Vater sehr, aber menschlich war er ihm weit überlegen: sensibel, ausgeglichen, großzügig, unvoreingenommen. Ein Bilderbuchsohn. Im Gegensatz zu mir, der ich schon als kleiner Junge nur widerwillig zu den katholischen Patres in die Schule gegangen war und stattdessen lieber mit der Diana 50 aus hundert Metern Entfernung auf Tauben geschossen hatte. Und der nur in die nächste Klasse versetzt wurde, weil der ehrenwerte Signor Balistreri ein wirklich hohes Tier in Libyen war.
Meine rastlose Kindheit zwischen einem Priester, der seine Finger nicht bei sich behalten konnte, den Messdienerpflichten und den Raufereien mit arabischen und italienischen Altersgenossen mündete in eine einsame, aufgewühlte, zornige Jugend. Ich verschlang Homer, Nietzsche und den frühen Mussolini. Ich kannte weder Kalkül noch Kompromiss. Allein Ehre, Tatkraft und Mut zählten. Mein Weg war vorgezeichnet: Mit siebzehn, als Kairo vom Sechstagekrieg erschüttert wurde, pflasterten die ersten Toten meinen Weg. Mit achtzehn erlegte ich in Tansania meinen ersten Löwen. Mit neunzehn agierte ich gegen Gaddafi, der kurz zuvor die Macht an sich gerissen hatte. Mit zwanzig maß ich mir das Recht an, Verrätern die Todesstrafe aufzuerlegen.
Dann Rom, die Universität. Anfang der Siebziger legte ich sogar ein paar Prüfungen ab. Es war eine fast natürliche Entwicklung, dass ich vom neofaschistischen Movimento sociale in den außerparlamentarischen rechten Flügel hineinrutschte, den Ordine nuovo, mit der Doppelaxt im Wappen und dem Motto der Waffen- SS »Unsere Ehre heißt Treue«. Drei Jahre lang prügelte ich mich mit den Roten, klebte nachts Plakate und redete mir tagsüber in Versammlungen den Kopf heiß. Bis ein christdemokratischer Minister den Ordine nuovo Ende 1973 auflöste und seine Anführer verhaftete. Diese Torheit trieb scharenweise Jugendliche, von denen viele noch zu jung und zu naiv waren, um die Grenze zwischen Kampf und Abgrund zu erkennen, in die Orientierungslosigkeit. Als meine Mitstreiter in den bewaffneten Kampf traten und in Kauf nahmen, ihre Feinde zu töten, stieg ich aus und dachte nach. Ich begriff, dass meine Freunde drauf und dran waren, ganz normale Leute in die Luft zu sprengen, sich mit gewöhnlichen Kriminellen zu verbünden und all unsere Ideale zu verraten. Um ihre Pläne zu durchkreuzen, ließ ich mich vom Geheimdienst als V-Mann anwerben. Es folgten vier Jahre als Chamäleon, in denen ich die Hoffnung hegte, auf der Seite der Guten zu kämpfen und Massaker an Unschuldigen zu verhindern. Dann kam das Jahr 1978, und die Roten Brigaden entführten Aldo Moro. Die Gewalt der Rechten verzahnte sich mit dem Terrorismus der Linken. Alle Hinweise wurden ignoriert, Aldo Moro musste sterben, ich protestierte, und meine Identität flog auf. An diesem Punkt hatte ich zwei Möglichkeiten: Ich konnte insistieren und würde als Zementklotz auf dem Meeresgrund enden. Oder ich verzichtete darauf, die Welt zu verändern, und bat meinen Bruder um Hilfe.
Es war mein Bruder, der Ingenieur Alberto Balistreri, der mich vom Rande des Abgrunds zurückholte. Der Innenminister war ihm noch etwas schuldig, also beendete ich, mit ein wenig Unterstützung, mein Philosophiestudium. Anschließend sorgte man dafür, dass ich in
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