Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
Einleitung
Erziehung! Ein Thema, das jeden betrifft. Und ein Wort, das stets ein Adjektiv mit sich führt: gute Erziehung, schlechte Erziehung, autoritäre, moderne, demokratische Erziehung. Die Debatte ist von großer Leidenschaft und Schärfe geprägt. Hier prallen Menschen- und Gesellschaftsbilder in oft unversöhnlicher Härte aufeinander.
Und nun komme ich, aufgrund meiner öffentlichen Rolle von vielen immer wieder gern in erprobte Erziehungsschubladen gesteckt, und sage: Vergesst Erziehung! Denn jede Art von Erziehung dient nur als Schutzschild der Erwachsenen, um sich vor der Beziehung zu Kindern zu schützen. Kinder hingegen brauchen keine Erziehung, Kinder brauchen vor allem Beziehung!
Sich öffentlich über Erziehung zu äußern, noch dazu mit unkonventionellen Positionen, ist heikel. Das habe ich immer wieder erlebt. Denn es bringt fest gefügte Vorstellungen durcheinander und stellt das eigene Weltbild infrage. Erziehung ist ein hochemotionales Thema, das zeigen die oft hitzigen Diskussionen über das »Richtig« oder »Falsch« im Umgang mit Kindern. Schnell wird gewertet. Schnell fühlt man sich bewertet. Das mag damit zusammenhängen, dass wir uns alle betroffen (und deshalb mitunter auch angegriffen) fühlen. Denn:
Wir alle waren mal Kind,
jeder hat Eltern und eine Geschichte mit ihnen, und
wir alle sind einmal erzogen worden.
Das immerhin verbindet uns.
Wir alle haben eine Meinung zu diesem Thema, weil wir alle unsere eigenen Erfahrungen in diesem sehr persönlichen Kontext gemacht haben. Und in diesem ordnen wir nun Aspekte ein, die uns zum Thema Erziehung begegnen. Erziehung betrifft nicht nur uns persönlich und unsere Familie, sondern steht auch im Zusammenhang mit unserem grundsätzlichen Verständnis davon, was Kinder sind und wie wir Kinder sehen, und unserer Vorstellung davon, wie wir mit ihnen umzugehen haben. Das sind Fragen, die unmittelbare Auswirkungen auf gesellschafts- und familienpolitische Konzepte und Maßnahmen haben.
Erziehung! Erwachsene haben von jeher gedacht, ein Kind sei noch kein »richtiger« Mensch. Die Überzeugung ist, ein Kind komme defizitär und halbfertig auf die Welt und müsse erst durch »Behandlung«, den Einfluss und die Einwirkung von Erwachsenen, zum Menschen gemacht werden. Die Menschwerdung geschieht nach dieser überkommenen Vorstellung zum einen, indem das Kind ein bestimmtes Alter erreicht, zum anderen, indem der Erwachsene rigoros auf das Kind einwirkt, es beeinflusst und durch Manipulation dazu bringt, sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten.
So haben Erwachsene durch alle Zeiten hindurch versucht, Methoden zu finden, um Kindern beizubringen, wie man sich »richtig« benimmt und wie man ein »ordentliches« Gesellschaftsmitglied wird. In diesem Sinne ist Erziehung also die – durch bestimmte Normen geleitete – Einübung von Verhaltensweisen und die Vermittlung diverser Kompetenzen.
Die Entwicklungspsychologie hat jedoch längst widerlegt, dass Kinder als unfertige Wesen auf die Welt kommen, die erst nach und nach zu »richtigen« Menschen werden. Es liegen genügend wissenschaftliche Erkenntnisse über die Entwicklung von Kindern vor und darüber, was sie brauchen, um gut aufwachsen zu können. Aber warum haben diese Erkenntnisse einen so eklatant geringen Einfluss auf die pädagogische Praxis? Die Forschung betont einhellig, wie wichtig die Qualität der Bindung und Beziehung zu unseren Kindern ist und dass sie als wesentliches Merkmal einer guten Entwicklung angesehen werden muss. Zwischen der »Geisteswissenschaft« Pädagogik und den naturwissenschaftlich geprägten Forschungsrichtungen scheint jedoch eine unüberwindbare Mauer zu stehen, die uns in der erzieherischen Praxis daran hindert, die Bedeutung der Forschungsergebnisse zu erkennen, sie einzuordnen, zu verknüpfen und Konsequenzen aus dem Erforschten im Sinne der Kinder abzuleiten. Wir sind deshalb in vielen Bereichen, in der Familie wie auch in der Schule, noch weit von einer Umsetzung und Integration des neuen Wissens in den Umgang und Alltag mit Kindern entfernt.
Kinder sind zum Spielball geworden in einer Debatte, die häufig von Schuldzuweisungen geprägt ist. Von Eltern wird gefordert, mehr und besser zu »erziehen«, während gleichzeitig anderswo die Forderung laut wird, die Institutionen, zum Beispiel die Schule, sollten mehr Erziehungsaufgaben übernehmen. Dadurch ist der Druck auf allen Seiten enorm gestiegen, die Verunsicherung groß.
Als Mutter habe ich mir
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