Du bist ok, so wie du bist: Das Ende der Erziehung (German Edition)
– wie viele andere Eltern auch – vorgenommen, es ganz anders zu machen, als ich es selbst erlebt habe. Also habe ich eigene Erfahrungen gesammelt, Fachbücher gelesen, studiert, im Alltag Neues ausprobiert und immer wieder mit anderen diskutiert.
Was ist im Umgang mit Kindern richtig, was falsch? Wie verhält man sich in der Rolle als Mutter oder Vater richtig?
Als Pädagogin und Therapeutin habe ich eine Zeit lang gedacht, Erziehung solle vor allem von demokratischen Regeln, Verständnis und Wertschätzung den Kindern gegenüber geprägt sein. Ich verstand das als Weiterentwicklung moderner Erziehungskonzepte, als eine Abkehr von der autoritären Erziehung, die moralisiert und straft. Ich dachte lange, wir seien im modernen Zeitalter der Erziehung angekommen.
Heute denke ich anders. Heute halte ich Erziehung im herkömmlichen Sinne generell für unnötig und überflüssig! Die vielen Menschen, die mir bei meiner Arbeit begegnen, haben zu dieser Überzeugung beigetragen, und nicht zuletzt auch meine Erfahrung als Mutter lehrt mich dies jeden Tag.
Wir können uns von der Vorstellung lösen, dass Kinder aktiv erzogen werden müssen. Erziehung bringt dem Kind nichts, es ist nicht im Sinne des Kindes, es hilft nur dem Erwachsenen. Erziehend schneiden wir Kinder passfähig für die Welt der Erwachsenen, wir berauben sie vieler ihrer Potenziale und Möglichkeiten – bestenfalls, um ihnen die vermeintlich besten Chancen in der Erwachsenenwelt zu eröffnen, schlimmstenfalls, um unserer Überforderung angesichts von Schwierigkeiten im Erziehungsalltag Herr zu werden.
Ich sehe deshalb die Notwendigkeit einer generellen Wende im Umgang mit unseren Kindern. Hin zu etwas ganz Neuem, jenseits von Erziehung. Ich bin der Überzeugung, dass nach der emanzipatorischen Gleichberechtigung der Frau auch Kinder aus erstarrten gesellschaftlichen Herrschaftskonventionen »befreit« werden können. Das Kind kann dies jedoch, anders als die Frau im Kampf um Veränderung, nicht aus sich selbst bewirken. Wir brauchen deshalb ein gesellschaftliches Umdenken.
Wenn ich das Traditionelle infrage stelle und mit neuen Gedanken vergleiche, dann nicht, um herkömmliche Konzepte abzuwerten, sondern um die Unterschiede zu dieser veränderten Haltung deutlich zu machen. Ich denke, dass sich unsere heutigen Erziehungsansätze von früheren im Kern kaum unterscheiden und dass wir nach wie vor – vor allem, wenn ein Konflikt besteht – unsere eigenen Interessen vorwiegend machtvoll gegenüber denen des Kindes durchsetzen und uns damit letztendlich hinter Erziehung verstecken, anstatt als Mensch in einer authentischen Beziehung den Kindern gegenüber sichtbar zu werden. Wir meinen, uns von der autoritären Erziehung abgewandt und zu einem neuen, modernen Erziehungsstil gefunden zu haben. Die Praxis – ob in der Schule, der Kita oder auch in der eigenen Familie – sieht oft noch anders aus. Nach wie vor wollen wir Kinder zu einem bestimmten Verhalten bringen, nicht selten, indem wir ein anderes Verhalten mit Macht (manchmal auch gewaltvoll) unterbinden.
Ich erlebe in der Elternberatung und im Kontakt mit LehrerInnen und ErzieherInnen immer wieder, dass neben Unsicherheit auch eine große Offenheit für Neues vorhanden ist. Mit diesem Buch möchte ich nicht nur einladen, sich auf etwas ganz Neues einzulassen, und ermutigen, einen ganz anderen Blickwinkel einzunehmen. Ich möchte auch begründen, warum ich das gesamte Modell der Erziehung für hinfällig halte. Dass es gute Gründe gibt, nicht etwa ein Erziehungsmodell gegen ein anderes auszutauschen, sondern die Idee des Erziehens insgesamt hinter sich zu lassen und sich etwas Neuartigem zuzuwenden: der Beziehung zu Kindern!
Von der ERziehung zur BEziehung scheint es nur ein kleiner Schritt zu sein, nur zwei Buchstaben gilt es auszutauschen. Zu verstehen jedoch, was Beziehung heißt, sich darauf einzulassen und sie in der Praxis, im Umgang mit Kindern, zu leben, ist weitaus schwieriger, zumal es wenig Erprobtes gibt, auf das wir zurückgreifen können.
Es fällt uns schwer, uns aus alten Mustern zu befreien, denn Beziehungsprozesse laufen häufig unbewusst ab. So ist zuallererst und immer wieder ein Blick auf uns selbst ganz wesentlich. Es geht eben nicht (mehr) darum, den Fokus ausschließlich auf das Kind zu richten, es zu manipulieren und auf es einzuwirken, um ein bestimmtes Ziel im Sinne eines erwünschten Verhaltens zu erreichen. Während Erziehung klar definierbare, zielgerichtete,
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