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Du denkst, du weißt, wer ich bin

Du denkst, du weißt, wer ich bin

Titel: Du denkst, du weißt, wer ich bin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Bailey
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Gesicht – als ob das alles nur zu ihrer persönlichen Unterhaltung veranstaltet würde. Die Clique der Non-Stop-Quasslerinnen. Die Lastminute-Hausaufgaben-Schüler. Diese Schwachköpfe im Trainingsanzug, die irgendeinem armen Kind die Schultasche geklaut hatten und sie jetzt hin und her schmissen. Das knutschende Paar aus der Neunten, das ineinander verheddert den Gang entlangschlenderte und alle paar Schritte stehenbleiben musste, um Speichelflüssigkeit auszutauschen.
    Als ich ankam, atmete Ami tief ein. »Riechst du das?«, fragte sie. »Der Montagmorgenschtunk . Aus was besteht er? Schweiß, natürlich. Qualm. Haarzeug. Aber da ist noch etwas …«
    Das Knutschpaar aus der Klasse unter uns rannte direkt in mich rein. Ist natürlich auch schwierig zu laufen, wenn deine Lippen gerade mit denen von jemand anderem zusammengetackert sind. Der Ellbogen von dem Knaben knallte gegen meinen Arm. »Entschuldige«, sagte er lachend, »wir haben nicht …« Als er merkte, wen er da angestoßen hatte, machte er sich davon, als hätte er Angst, sich irgendeine Krankheit zu holen. »Oh«, murmelte er, »ich …«
    Seine Freundin zog ihn am Arm. » Komm weiter .«
    Ami drehte sich zu mir um, als die beiden davonschossen. » Pheromone «, sagte sie. »Das ist der Geruch, der auch noch dabei ist.«
    Ich ließ meine Tasche von der Schulter gleiten und auf den Boden fallen. Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand. »Ich rieche nichts«, antwortete ich. Ich fühlte mich, als wäre meine Nase verstopft. Und meine Lunge. Ich soff gerade ab. Ami musterte mein erschöpftes Gesicht. Meine Haare, die in dunklen, schlappen Wellen herabhingen. Die schwarze Schmiere unter meinen Augen.
    »Schlechte Nacht gehabt, was?«
    »Das kannst du laut sagen.« Ich beugte mich runter und riss den Reißverschluss meiner Tasche auf.
    Ami setzte sich neben mich. »Toby?«
    Ich hob meine Hände ans Gesicht, die Handflächen nach innen, als würde ich beten. Oder niesen. Reiß dich zusammen . »Sollte es nicht langsam besser werden?«, fragte ich. »Es ist jetzt sechs Monate her. Fast sieben.«
    »Olive«, sagte Ami, ihre Stimme fest und sicher wie ein Herzschlag. »Es wird besser werden. Leichter. Das kann ich dir versprechen. Ich habe das doch auch alles durchgemacht, denk dran.«
    Ich wollte ihr ja so gern glauben.
    Ami nahm meine Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen. Die gleichmäßigen, perfekten Nägel an jedem ihrer langen, eleganten Finger ließen meine sogar noch plumper und abgekauter aussehen. »He«, sagte sie, »wenn ich es schaffe, wieso solltest du es nicht schaffen?«
    Es gab so ungefähr eintausend Gründe, warum ich es nicht so einfach schaffen könnte, allen voran: Ami war jemand, der immer klarkam. Mit allem. Buchstäblich allem. Sie passte sich an und kam klar. Sie hatte eine Art, ihren Standpunkt zu wechseln, sodass sie nicht immer bloß den absoluten Mist vor Augen hatte. Das war nicht gerade meine Stärke. Und da gab es noch diese andere Sache. Ihr Vater hatte sich davongemacht, genau wie meiner. Aber es war nicht Amis Schuld gewesen.
    »Was ist – sollen wir heute die Schule schwänzen?«, schlug Ami plötzlich vor. »Lass uns zum Strand gehen. Rumhängen. Quatschen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte Mum und Doktor Richter allerhand versprochen, als erstes, dass ich nicht mehr in der Schule fehlen würde. Außerdem hatten Ami und ich schon so viel Zeit damit verbracht, über unsere Väter zu reden. Und das war ja auch kein Wunder – das war der Hauptgrund, warum wir Freundinnen wurden, nachdem ich rausgeschmissen worden war. Bei Ami konnte ich ordentlich Luft ablassen, denn sie verstand, durch welche Hölle ich ging. Aber inzwischen war unsere Freundschaft noch weit mehr – jedenfalls hoffte ich das.
    Ami verzog ihren Mund. Nicht ohne Boshaftigkeit. »Ich wusste es: Du willst nichts verpassen«, sagte sie. »Das neue Mädchen und so.«
    Ami hatte eine Gabe für so was – sie zog mich aus dem Sumpf und katapultierte mich in den Himmel. »Oh Gott ! Die Elternmörderin!«, rief ich. »Ich weiß gar nicht, wie ich das vergessen konnte!«
    »Olive!«, lachte Ami und tat so, als sei sie schockiert. »Sie ist keine Mörderin!«
    »Wohl kaum«, sagte ich und schnappte mir ein paar Bücher aus meiner Tasche. Den Rest stopfte ich in mein Schließfach. »Aber der Mensch darf doch hoffen! Komm.«
    Jetzt konnte ich gar nicht schnell genug in die erste Stunde kommen. Wir liefen den Korridor runter und drängten uns durch all die

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