Du Mich Auch
zusammen. Sie wusste nicht, was schlimmer war: Meiers taktlose Bemerkungen oder Beatrices flapsiger Spruch.
»Herpes?« Meier begriff den Satz erst nach längerem Nachdenken. Als sein sektumspültes Stammhirn ihn endlich als Beleidigung klassifiziert hatte, sprang er auf, als hätte ihn ein Skorpion gebissen.
»Ich weiß, wann ich gehen muss!«, rief er aus.
»Verbindlichsten Dank, dass Sie uns nicht weiter belästigen«, setzte Beatrice nach. Betont beiläufig nahm sie einen Schluck Caipirinha, während Meier davonschlich.
»Das verspricht ja, ein netter Abend zu werden«, sagte Katharina und orderte die nächste Runde.
Beatrice lehnte sich zufrieden zurück. »Speedlästern. Wie in alten Zeiten. I love it!«
Kapitel 3
Evi schlug zu. Ohne Rücksicht auf Verluste. Vorspeisen, Nachspeisen, kalten Braten, alles lud sie durcheinander auf ihren Teller. Das Buffet hatte sich geleert, aber sie war mit den Resten vollauf zufrieden. Es war höchste Zeit. Nach zwei Caipirinhas war ihr so schwindelig, dass sie handeln musste. Mit fahrigen Bewegungen nahm sie auch noch Nudelsalat und Räucherlachs. Was sonst? Unschlüssig stocherte sie in einer Schüssel herum, in der etwas seltsam Grünes lag.
»Verzeihung, darf ich fragen, was das ist?«, fragte sie den bemützten Koch hinter dem Buffet.
»Algen, gnädige Frau. Auf einem Carpaccio vom Babybuttfilet.«
Wo war sie nur in den letzten fünfundzwanzig Jahren gewesen? Im Mustopf? Dabei waren die einzigen Bücher, die sie las, Kochbücher. Ihre Sammlung füllte inzwischen zwei ganze Regale.
»Und das Dressing?«, erkundigte sie sich.
Der Koch setzte ein verschwörerisches Gesicht auf. »Ist eigentlich ein Betriebsgeheimnis. Aber ich verrate es Ihnen.«
Evi lächelte dankbar. Sie war glücklich, dass sie über Rezepte fachsimpeln durfte, ohne von ihren emanzipierten Freundinnen als Hausmütterchen abgestraft zu werden. Aber waren es denn überhaupt noch ihre Freundinnen? Wo war sie geblieben, die Vertrautheit von einst? Evi fand Katharina und Beatrice nur noch anstrengend.
»Traubenkernbalsamico mit portugiesischem Meersalzfirst flush, in einer Paranussölemulsion«, flüsterte der Mann mit der Kochmütze.
In Gedanken hatte Evi das Rezept bereits abgespeichert. Schließlich besaß sie den Ruf einer exzellenten Köchin, den es zu verteidigen galt. Sie bedankte sich artig und steuerte einen verlassenen Tisch an. Ohne Hast stapelte sie die schmutzigen Teller, räumte Gläser und Besteck beiseite und wischte ein paar Krümel von der Tischdecke. Dann setzte sie sich.
Ringsum an den Tischen war kaum noch jemand zu sehen. Die meisten Gäste drängelten sich schon auf der Tanzfläche und bewegten sich entfesselt zu den Klängen der Band. Die spielte Hits aus den Achtzigern, die begeistert mitgebrüllt wurden. Gerade war es »All Night Long« von Lionel Ritchie. Der lärmende Discosoul ließ die Gläser auf dem Tisch leise klirren.
Evi begann mit dem Tiramisu. Sobald die weiche, fette Creme ihren Gaumen streichelte, fühlte sie sich wohler. Sie liebte es zu essen. All night long. Es war der verlässlichste Trost, den sie hatte. Voll Wonne löffelte sie das süße Dessert in sich hinein.
Ihre Drinks bereute sie schon bitterlich. Nun war sie gefangen in diesem Hotel. Aber es würde bestimmt niemandem auffallen, wenn sie gleich mit einer Portion Algen nebst Babybuttfilet-Carpaccio in ihrem Zimmer verschwand. Und am nächsten Morgen würde sie sich vor dem Frühstück aus dem Staub machen. Die anderen hatten sie sowieso schon vergessen.
»Hier bist du also!«
Ertappt. Nein, die anderen hatten sie noch nicht vergessen. Schuldbewusst sah Evi von ihrem Teller auf und direkt in das Gesicht von Beatrice. Es war stark gerötet, das Make-upwirkte fleckig. Auch die Frisur hatte einiges von ihrer Perfektion eingebüßt. Da waren mehr als zwei Caipirinha im Spiel, mutmaßte Evi. Beatrice schwankte merklich und musste sich an einer Stuhllehne festhalten, um nicht aufs Parkett zu kippen. Voll Abscheu begutachtete sie Evis überladenen Teller.
»Dschieesus, isst du immer so wahllos? Was hast du dir denn da alles gekapert?«
»Schmeckt himmlisch«, erwiderte Evi in einer Aufwallung von Trotz.
Sie hatte mehr als genug von der Schlacht um Erfolg und Anerkennung. Das Schaulaufen hier war nicht ihr Ding. Sie gehörte nicht dazu, sie, die graue Maus im Zoo der Königstiger. Morgen früh würde der Spuk ohnehin vorbei sein. Warum also länger ihr wahres Gesicht verbergen?
»Du kannst gern
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