Du Mich Auch
Dreiergespann gewesen. Damals, als Teenager. Alles hatten sie geteilt, Schulstress, Schminktipps, ersten Liebeskummer. Wie Sekundenkleber hatten sie zusammengehalten, getreu ihrem Motto: »Für immer, für ewig, für uns!«
Ein Vierteljahrhundert war das her. Beim Abiturball hattensie noch beschlossen, für immer zusammenzubleiben. Doch es kam anders. Die rituellen Treffen wurden seltener, die ausgedehnten Telefonate auch, und schließlich verloren sie einander aus den Augen. Die Freundschaft von einst war in Vergessenheit geraten, so wie der Schulstress, die Schminktipps und der erste Liebeskummer.
Es war Beatrice, die die Situation rettete. »Gehe ich richtig in der Annahme, dass wir Staatssekretärin Dr. Katharina Severin vor uns haben, bekannt aus Funk und Fernsehen, die Hoffnung der Familienpolitik?«
»Könnte man so sagen«, antwortete Katharina geschmeichelt. »Gerade haben sie mich zur stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Mit steilen Karriereoptionen. Und was macht ihr so?«
Die Herablassung in ihrer Stimme war nicht zu überhören. Da hieß es mithalten. Eingehend berichteten Evi und Beatrice von ihrem grandiosen Leben. Katharina hörte konzentriert zu. Ihr blasses Gesicht mit den winzigen Sommersprossen war ungeschminkt und kaum gealtert. Die Haut schimmerte wie Porzellan. Eine Rose aus Stahl, dachte Evi, während Beatrice sich vornahm, später nach Katharinas Schönheitschirurgen zu fragen.
»Hört sich doch ganz gut an«, sagte Katharina obenhin, als die beiden fertig waren.
Evi fühlte sich zunehmend unwohl neben ihren furchtbar erfolgreichen Freundinnen. »War schön, dass wir uns mal wiedergesehen haben.« Sie improvisierte aufs Geratewohl. »Leider muss ich los. Ich bekomme« – sie holte Luft – »Besuch. Übernachtungsgäste. Deshalb …«
»Kommt überhaupt nicht in Frage«, fiel Katharina ihr ins Wort. »Da treffen wir uns nach fünfundzwanzig Jahren,und du willst schon wieder den Abflug machen? Ich habe sogar eine Strategiesitzung im Familienausschuss abgesagt!«
»Und ich ein Skype-Meeting mit chinesischen Managern!«, trumpfte Beatrice auf.
Evi hatte Derartiges nicht vorzuweisen. Kleinlaut suchte sie nach plausibleren Ausflüchten, doch es gab keine. »Aber, aber …«
»Nichts aber«, bekräftigte Beatrice. »Dein ›wunderbarer Mann‹ und deine ›zwei wohlgeratenen Kinder‹ werden es ja wohl mal eine Nacht ohne dich aushalten, oder?« Sie zwinkerte Katharina zu.
Nicht nur eine Nacht, dachte Evi. Die würden nicht mal merken, wenn ich eine ganze Woche wegbliebe.
»Komm schon«, sagte Katharina. »Heute zeigen wir den Jungs, wo die Wurst wächst. Wie in alten Tagen.«
»It’s raining men!«, fiel Beatrice ein. »Hallelujah!«
Zusammen mit Katharina hakte sie Evi unter, und gemeinsam schleiften sie ihre widerstrebende Freundin zur Bar. Die war ein dämmriges Gewölbe mit genoppten Ledersofas und nachgedunkelten Landschaftsgemälden an den Wänden. Am Tresen lungerten ein paar Herren herum, die sich gegenseitig mit Erfolgsgeschichten überboten. Gerade waren sie bei ihren Autos angekommen. Der Barkeeper zapfte unablässig Bier, das mit Getöse geleert wurde.
Das Trio steuerte einen ruhigen Tisch in der Ecke an. Beatrice hob lässig drei Finger und rief dem Barkeeper zu: »Caipi! Aber pronto please!«
»Echt jetzt? Caipirinha?«, gluckste Katharina.
»Warum nicht? Um eine unfallfreie Syntax müssen wir uns wohl nicht mehr kümmern«, lachte Beatrice. »Oderwillst du etwa auf die Bühne schlüppern und eine Rede halten? Goodness, den Meier haben sie doch schon gegrillt! Wisst ihr noch, wie er uns das Schwimmen beibringen wollte? Und immer sein Gebiss am Beckenrand ablegte? Der ist schon durchs Wasser gepflügt, als Jopi Heesters noch sein Seepferdchen machte.«
»Nee, nee, keine Rede«, winkte Katharina ab. »Ich habe heute schon drei Reden gehalten.«
Beatrice rollte mit den Augen. Katharinas Arroganz konnte einem ganz schön auf die Nerven gehen.
»Wollt ihr denn nichts essen?«, meldete sich Evi zu Wort.
Ihr Magen war ein gähnend leerer Abgrund. Sie hatte vor lauter Aufregung den ganzen Tag nichts gegessen, und die Düfte des Buffets verhießen so einiges. Außerdem konnte man immer etwas lernen für daheim, wenn man auswärts aß. Fand Evi.
»Essen?« wiederholten Beatrice und Katharina im Chor.
»Ja! Habt ihr gar keinen Hunger?«
Beatrice verzog den Mund. »Low-carb-Diät.«
»Und ich hatte schon meinen abendlichen Müsliriegel im Wagen«, fügte
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