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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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tastete sie ab. Morgan beugte sich aus dem Fenster über den beiden und behauptete, es müsse eine Ringelnatter gewesen sein, da Annie nicht gebissen worden sei.
    Eine Weile später kam der Umzugswagen, die Katze tauchte wieder auf und rieb sich an meinem Bein.
    Die Möbelpacker waren riesig. Der eine hatte eine Tiger-Tätowierung im Nacken und auf beiden Armen Ornamente, die orientalisch aussahen. Er roch nach Schweiß und Tabak. Annie und ich waren überzeugt, dass er Mamas Typ war, die Art Mann, auf die sie abfuhr. Genau die Sorte, von der wir allzuviele in unseren verschiedenen Wohnungen kennengelernt hatten, seit wir klein waren.
    Aber der Tätowierte schien nicht auf Mama abzufahren. Er blödelte nur mit Annie herum und fragte sie, wo ihr Bett stehen solle.
    Morgan hatte gleich nach der Beerdigung ein Zimmer in Beschlag genommen, das größte im Obergeschoss, dessen Fenster nach Süden gingen. Meins daneben war nur halb so groß. Schräg gegenüber lag Annies Zimmer auf der rechten Seite der Diele. Es ging nach Norden, aber ein Fenster im Dach ließ viel Sonne herein. Annie schien sehr zufrieden zu sein. Neben Annie wollte Mama sich ein Arbeitszimmer einrichten. Ihr Schlafzimmer war im Erdgeschoss neben der Küche.
    Die Umzugsleute waren erst gegen Abend fertig, und wir fuhren zur anderen Seeseite, wo es eine Pizzeria gab. Ich wählte eine Vesuvio, und Annie und Mama aßen eine vegetarische Pizza. Morgan nahm Capricciosa, am liebsten hätte er zwei gehabt, aber die kriegte er nicht.
    Es waren ziemlich viele Leute im Lokal, einige tranken Bier und machten Armdrücken. Mama tippte mir mit ihrem rosafarbenen Mittelfingernagel gegen die Brust.
    »Dein Papa war gut im Armdrücken«, sagte sie lächelnd, als würde sie mir etwas mitteilen, das mich froh und stolz stimmen und Hoffnung auf eine erfolgreiche Sportlerzukunft wecken sollte.
    Annie beobachtete mich. Morgan schnaubte. Er schob den Teller von sich weg und rülpste.
    »Du kleiner Fliegenschiss wirst höchstens ein Fliegengewicht.«
    »Warum bist du immer so fies?«, fragte Annie.
    »It’s in my nature«, antwortete Morgan.
    »Das ist doch nicht normal«, sagte Annie, »so was von gemein, wie du bist. Tom ist immerhin dein Bruder.«
    »Halbbruder«, sagte Morgan. »Wer will schon mit so einem Dreck verwandt sein? Das will nicht mal sein Vater.«
    Und dann zog er einen Comic aus der Gesäßtasche, lehnte sich zurück, streckte die Beine aus und rülpste wieder.
    Mama seufzte und bat um die Rechnung.

    2

    Am nächsten Tag wurde ich gegen zehn wach. Die Sonne war gerade um die Hausecke gekommen. Durch die Wand hörte ich Morgan schnarchen. Die Wand ist hauchdünn.
    Mama saß mit einem Stapel Kaufhauskatalogen und einer Tasse Kaffee auf der Veranda. Wir hatten fast alle Möbel in Sundsvall gelassen und mussten neue Sofas, Tische und Sessel für das Wohnzimmer anschaffen, bevor Mama wieder zu arbeiten anfing.
    Es war schon warm, nicht ein Windhauch rührte sich in den Erlen unten am See. Auf der anderen Seite der Hecke, die unser Grundstück von dem des Nachbarn trennte, hörte ich eine Männerstimme, die eine Ente nachahmte. »Gack-gack-gack«, machte er.
    Mama sah von einem Katalog auf.
    »Wie findest du das hier?«
    Sie hielt mir eine Seite unter die Nase. Das Sofa auf dem Bild sah aus wie alle anderen Sofas.
    »Ist doch egal, Hauptsache kein Leder«, sagte ich.
    Sie nickte.
    »Wie findest du hellgraues Leinen?«
    »Weiß nicht.«
    »Ist hellgrau besser als schwarz?«
    »Weiß ich auch nicht.«
    Sie legte den Kopf schief und schaute mich an, als hätte sie mich noch nie gesehen.
    »Im Keller hängt eine Sense. Was meinst du, kannst du damit umgehen?«
    »Klar kann ich das«, behauptete ich, obwohl ich noch nie im Leben eine Sense in der Hand gehalten hatte.
    »Ich bezahle dich pro Stunde, wenn du das Gras mähst und hinterher zusammenharkst.«
    »Das ganze Grundstück?«
    »Alles«, sagte sie. »Such dir ein Paar Handschuhe. Aber den Rainfarn und die jungen Espen in der Ecke lass stehen!«
    »Rainfarn?«
    »Das hohe gelbe Kraut. Lass es stehen. Und die Espen möchte ich wegen ihres Geraschels behalten.«
    Die Sense sah neu aus. Ich trug sie nach oben und probierte sie vor der südlichen Veranda aus. Das Gras fiel weich über das Blatt.
    »Zieh Stiefel an«, sagte Mama. »Falls dir die Schlange begegnet.«
    »Wenn ich die Schlange sehe, mache ich Hackfleisch aus ihr«, versprach ich. Vorsichtshalber ging ich trotzdem in mein Zimmer und suchte eine Weile in den

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