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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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nickte.
    »Ich wache immer früh auf, du brauchst nicht zu warten, bis ich aufgestanden bin.«
    »Soll ich das Tablett ins Haus tragen?«
    Er musterte mich, als könnte er dadurch mehr über mich erfahren.
    »Mach das, aber lass mir die Medizin hier.«
    Ich brachte das kleine silberne Tablett zusammen mit meinem Glas in die Küche. Es roch nach Abfall, der schon langenicht mehr entsorgt worden war, und am Fenster surrte eine dicke flaschengrüne Fliege.
    Ich stellte das Tablett auf die Arbeitsplatte und ging wieder hinaus zu dem Alten.
    »Bis morgen also«, sagte er, als ich die Treppe herunterkam. »Wenn du am Briefkasten vorbeikommst, würdest du bitte nachschauen, ob Post drin ist?«
    Neben der Pforte hing ein roter Briefkasten tief in der Hecke. In kleinen weißen Buchstaben stand »K. Berger« darauf. Er war leer.
    Ich dachte, dass Karl Berger vielleicht schwerhörig war, also ging ich noch einmal zurück über den knirschenden Schotter. Er saß unverändert da, aber jetzt ruhte sein Kinn auf den Händen, die er über der Krücke gefaltet hielt.
    »Keine Post im Kasten«, sagte ich.
    »Hab ich mir schon gedacht«, brummelte der Alte fast unhörbar.
    Da sah ich, dass an seiner linken Hand der Ringfinger und der kleine Finger fehlten. Nicht einmal Stummel waren übrig geblieben.
    Als ich ihm den Rücken zukehrte und zur Pforte ging, hörte ich, wie auf unserem Grundstück der Rasenmäher angeworfen wurde.

    Morgan trug knielange Shorts aus einem glänzenden Material, das eine Hosenbein war weiß, das andere blau. Er schubste den Rasenmäher vor sich her. Ich stellte mich ihm in den Weg.
    »Was machst du da?«
    Er grinste und zeigte mir seine Biberzähne. Sein Gesicht sah aus wie das eines felllosen Kaninchens, nur seine Ohren waren kleiner und der Ausdruck in seinen Augen dümmer.
    »Wonach sieht es denn aus?«
    »Ich mähe den Rasen!«, brüllte ich, um das Motorengeräusch zu übertönen.
    »Wir machen es zusammen!«
    »Ich mähe den Rasen!«
    »Du hättest mich fragen müssen, ob wir es uns teilen wollen!«
    »Mama hat mich darum gebeten.«
    »Bilde dir bloß nicht ein, dass du das Geld für dich behalten kannst! Ich kriege die andere Hälfte.«
    »Warum?«
    »Weil wir es uns teilen.«
    »Ich hab den ganzen Tag geschuftet. Mit dem Rasenmäher brauchst du weniger als eine Stunde. Du kriegst nicht mehr als zehn Prozent.«
    Er stieß den Rasenmäher in meine Richtung. Ich stellte meinen rechten Fuß darauf. Der Fuß vibrierte.
    Er ließ den Handgriff los und kam auf meine Seite. Der Motor heulte auf.
    Wir waren eingehüllt in eine übel riechende unsichtbare Wolke aus Abgasen.
    »Schwulenschwein!«, schrie Morgan.
    Ich verzog mich hinter den Rasenmäher, aber Morgan machte einen Satz darüber hinweg und stand wieder neben mir.
    Dann täuschte er mit der Linken einen Schlag in den Magen vor, während er mir gleichzeitig mit der Rechten auf die Nase schlug. Ich ging in die Knie. Er fuhr mit dem Rasenmäher davon. An der Hecke zur Straße kehrte er um und kam wieder auf mich zu. Ich hatte Nasenbluten.
    »Ich schneide dir die Finger ab!«, brüllte er.
    Ich schloss die Augen und blieb sitzen und hörte, wie er den Rasenmäher dicht an meiner Hand vorbei zum See schob. Als er bei den Erlen wendete, blieb der Motor stehen.
    »Bring mir den Kanister!«, befahl Morgan.
    Ich stand auf und ging zur anderen Seite des Hauses. Vielleicht hatte der Alte seine Finger beim Rasenmähen verloren? Oder sein Bruder hatte sie ihm bei einer Prügelei abgebissen, als er sieben Jahre alt war?

    3

    Mamas Auto war nicht da, die Haustür war angelehnt, und Annie saß in der Küche. Sie aß einen Joghurt, während sie in einer Modezeitschrift blätterte. Sie schaute auf.
    »Wie siehst du denn aus!«
    Sie trug weiße Shorts und ein rosafarbenes Top. Die langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz hochgebunden. Sie stand auf und kam auf mich zu.
    »Du bist ja voller Blut!«
    Ich ging zur Spüle und ließ kaltes Wasser laufen.
    »War das Morgan?«
    »Wer denn sonst?«
    »Du solltest dich hinlegen, bis es aufhört zu bluten.«
    Ich wusch mir das Gesicht mit kaltem Wasser und streckte mich auf dem Küchenfußboden aus. Nach einer Weile brachte Annie mir einen Beutel Watte. Sie zupfte ein Stück ab, reichte es mir, und ich steckte es in das linke Nasenloch.
    »Warum hat er das getan?«
    »It’s in his nature.«
    Sie schüttelte den Kopf, dann ging sie nach draußen, und ich hörte sie Morgan eine Frage nach der Fahrradpumpe zurufen. Sie bekam

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