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Du musst die Wahrheit sagen

Titel: Du musst die Wahrheit sagen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mats Wahl
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Tüten über den Schotterplatz, und ich folgte ihr in die Küche. Sie ging zum Kühlschrank und holte eine angebrochene Flasche Wein heraus. Dann nahm sie das Weinglas, aus dem ich getrunken hatte, und ließ sich auf einen Stuhl am Tisch sinken. Sie füllte das Glas bis zum Rand und nahm einen großen Schluck.
    Sie sprach nicht mit mir. Sie sprach mit einer anderen Person, vielleicht mit jemandem, der sich in der Besenkammer versteckt hatte. Ich hatte wie üblich das Gefühl, als würde es mich gar nicht geben.
    »Das hat mir gerade noch gefehlt, dass so was passiert! Wieso dürfen solche Bürschchen überhaupt frei herumlaufen? Ich fasse es nicht! Wenn man so gerissen ist, dass man die Leute im Supermarkt beobachtet, dann hat man das nicht zum ersten Mal gemacht. Warum sperren sie diese Bengel nicht ein? Wieso dürfen die rumlaufen und anständigen Leuten das Leben vermiesen?«
    Sie hob das Glas und trank.
    Ich setzte mich ihr gegenüber und versuchte, mir einen Stiefel auszuziehen. Sie beobachtete mich.
    »Bist du mit dem Mähen fertig?«
    »Hast du es nicht gesehen?«
    »Was?«
    »Dass ich noch nicht fertig bin. Kannst du mir mal helfen, die Stiefel auszuziehen?«
    Ich streckte ein Bein aus, sie stand auf und ging vor mir in die Knie.
    »Man sollte ihnen die Ohren abschneiden. Dann würden anständige Leute sie auf den ersten Blick erkennen und könnten sich vor ihnen in Acht nehmen«, knurrte sie.
    Mama packte den Stiefel und zog, aber er saß fest.
    »Fass ihn an der Ferse an«, schlug ich vor.
    »Wir versuchen es erst mit dem anderen. Der rechte Fuß ist meistens kleiner.«
    »Ist es nicht der linke?«
    »Nein, der rechte. Los!«
    Ich streckte ihr den rechten hin, und sie zog. Der Stiefel saß jedoch so fest, als wäre er am frühen Morgen mit Sekundenkleber gefüllt worden, und jetzt war der Fuß für immer mit dem Gummi im Stiefel verpappt.
    »Vielleicht geht es mit einem Klacks Butter?«, schlug ich vor.
    Mama sah mich misstrauisch an.
    »Oder mit etwas Öl«, korrigierte ich mich.
    Mama schüttelte den Kopf und versuchte, mir den linken Stiefel vom Fuß zu ziehen. Sie rutschte ab, fiel nach hinten und schlug mit dem Kopf gegen die Tür von der Besenkammer. In dem Augenblick kam Morgan herein.
    »Was macht ihr denn da?«
    Er stank nach Benzin und hatte einen dunklen Fleck auf dem weißen Shortsbein.
    »Du bist doch so stark«, sagte Mama. »Kannst du Tom die Stiefel ausziehen?«
    Morgan lachte.
    »Schaffst du es nicht allein, dir die Stiefel auszuziehen?«
    »Zieh sie ihm aus«, befahl Mama, die, noch gegen die Tür gelehnt, auf dem Fußboden saß.
    »So was Idiotisches!«, sagte Morgan. »Ein klarer Beweis, dass er nichts als Rotz im Hirn hat. Zieht sich zu kleine Stiefel an. Ganz schön beknackt.«
    Morgan starrte mich mit seinen Kaninchenaugen an und rührte sich nicht von der Stelle.
    »Zieh ihm jetzt die Stiefel aus«, wiederholte Mama.
    Morgan ging zur Spüle, ließ Wasser laufen und hielt den Mund unter den Hahn. Er trank. Lange. Mama stand auf und ließ sich auf den Stuhl vor dem Weinglas fallen.
    »Ihr müsst die Stiefel aufschneiden«, sagte Morgan, als er mit Trinken fertig war. Dann wischte er sich den Mund mit dem rechten Handrücken ab.
    »Der Rasenmäher ist hin«, fuhr er fort. »Ich hab den Motor auseinandergenommen, aber keinen Fehler gefunden.«
    »Morgan hat das Mähen übernommen«, erklärte ich. »Deswegen ist die Arbeit noch nicht fertig.«
    »Idiot!«, zischte Morgan und stieß sich von der Spüle ab. Er stürzte hinaus wie ein Schwimmer, der eine lange trainierte Wende macht. »Idiot!«
    Und dann verschwand er mit klappernden Biberzähnen im Vorraum.
    Er war kaum verschwunden, da rief er:
    »Die Mieze spielt mit der Schlange!«
    Mama und ich waren augenblicklich im Vorraum.
    Die Schlange lag zusammengerollt auf dem Schotter vor der Treppe. Die Katze stand mit einem Buckel ein Stück entfernt, ihr Fell sträubte sich, und sie fauchte. Als die Schlange den Kopf hob, um zuzustoßen, machte sie einen Sprung seitwärts.
    Mama wollte hinauslaufen, um der Katze zu helfen, aber Morgan hielt sie fest.
    »Mal sehen, wie es ausgeht!«
    »Lass mich los!«, brüllte Mama, und Morgan ließ sie los. Vielleicht wurde die Katze in ihrer Konzentration gestört, als Mama die Treppe heruntergestürmt kam. Vielleicht war die Schlange schneller. Sie biss die Katze in die rechte Vorderpfote, dann schlängelte sie sich durch das Gras neben Mamas Auto und verschwand.
    Mama war mit wenigen Schritten bei der

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