Du oder die grosse Liebe
sagt nicht viel. Ich glaube, sie ist zu verängstigt und schockiert, um etwas zu sagen, und überlässt das Reden deshalb Dad und den anderen Ärzten.
Nachdem Dr. Wong einen zweiten Ultraschall angeordnet hat und mir ein intravenöser Zugang gelegt wurde, sitzt Mom auf der einen Seite meines Krankenhausbettes und Dad auf der anderen. Die Ärztin steht mit den Testresultaten in der Hand neben ihnen.
»Du hast eine Eileiterschwangerschaft«, sagt sie. Dann erklärt sie, warum ich eine Notoperation brauche. Sie vermuten, dass mein Eileiter begonnen hat zu reißen. Mom hat eine Hand über den Mund gelegt, ihr laufen Tränen die Wangen hinunter. Dad nickt steif, während er Dr. Wong zuhört.
»Was ist mit meinem Baby?«, frage ich voller Panik.
Dr. Wong berührt meine Schulter. »Wir werden das Baby nicht retten können«, erklärt sie.
Ich fange wieder an zu weinen. In dem Moment, als mir klar wurde, dass ich wirklich und wahrhaftig schwanger bin, habe ich mir gewünscht, es wäre nicht real. Haben meine negativen Gedanken dazu geführt, dass mein Körper das Baby abstößt? Tiefe Trauer und ein Berg von Schuldgefühlen, die ich für den Rest meines Lebens mit mir rumtragen werde, nisten sich in mir ein.
Eine weitere Schmerzwelle bricht über mich herein und ich fasse mir an den Bauch.
Als meine Eltern die Papiere unterzeichnen, wird alles plötzlich so real, dass ich am ganzen Körper zu zittern beginne.
»Werde ich trotzdem noch Kinder bekommen können?«, frage ich Dr. Wong, bevor sie das Zimmer verlässt, um die Operation vorzubereiten.
Sie nickt. »Ein Eileiter wird beschädigt sein, aber der andere ist gesund. Du solltest ohne große Schwierigkeiten schwanger werden können.«
Sie sind bereit, mich in den OP zu bringen. Ich sehe meine Eltern an. Ich möchte etwas zu ihnen sagen, aber ich weiß, wenn ich es tue, breche ich wieder in Tränen aus.
Mom wirft mir ein kleines angespanntes Lächeln zu. Sie ist enttäuscht von mir. Ich kann ihr keinen Vorwurf daraus machen.
Dad hält meine Hand, bis ich in den OP gerollt werde. »Wir bleiben genau hier und warten, bis du wieder rauskommst.«
Der Operationssaal ist kalt und riecht steril. Ich werde an Monitore angeschlossen, und Dr. Wong sagt mir, dass ich mich gleich schläfrig fühlen werde, da sie mir etwas über den intravenösen Zugang geben. Als der Schlaf kommt, schwöre ich mir, Marco zu vergessen, und unser Baby, das nie eine Chance hatte, ebenfalls.
Luis Fuentes hat mich daran erinnert, dass ich immer noch verwundbar bin. Wenn Gefühle keine Rolle mehr für mich spielen, brauche ich mir auch keine Sorgen machen, verletzt zu werden. Wenn dieser Albtraum vorbei ist, werde ich ein anderer Mensch sein … Nikki Cruz wird nicht länger verwundbar sein.
9
Luis
Zwei Jahre und zwei Monate später
Fairfield, Illinois.
Wenn mir vor zwei Wochen jemand erzählt hätte, dass ich wieder nach Illinois ziehen würde, hätte ich ihn ausgelacht. Schließlich sind wir von dort geflohen, als ich elf war. In all den Jahren bin ich nur einmal nach Illinois zurückgekehrt; zur Hochzeit meines Bruders vor über zwei Jahren.
Jetzt bin ich siebzehn und zurückgekommen, um zu bleiben.
Für mich fängt bald mein Senior-Jahr an. An der Flatiron High in Colorado, wo ich die drei letzten Highschooljahre verbracht habe, kenne ich jeden Lehrer, jeden Schüler und jeden Zentimeter Erde. Wenn ich die Wahl gehabt hätte, wäre ich nicht nach Fairfield zurückgekehrt. Aber ich bin Mexikaner, und in meiner Kultur kreist alles um die Loyalität, die man seiner Familie schuldet.
Familiäre Verpflichtungen haben uns zurückgebracht. Alex und Brittany leben hier mit meinem kleinen Neffen Paco. Wir haben sie gestern Abend direkt nach unserer Ankunft besucht. Brittany ist wieder schwanger, und mi’amá sagt, sie werde auf keinen Fall darauf verzichten, ihre Enkelkinder aufwachsen zu sehen.
Jetzt stehen wir vor dem alten Haus, in dem wir früher zur Miete gewohnt haben. Es ist ein Haus mit zwei Schlafzimmern, größer als ein Gartenschuppen, aber kleiner als die meisten Häuser in meinem Viertel. Mir wird schnell klar, dass die Latino Blood in Fairfield nicht mehr so allgegenwärtig ist wie früher:
Die gesprayten Reviermarkierungen auf Gebäuden und Straßenschildern sind weg, und niemand guckt die Autos auf der Straße an, als könnten darin Mitglieder einer rivalisierenden Gang sitzen, die jeden Moment losballern. Die Anwesenheit eines Polizeiautos jedoch, das auf der Straße
Weitere Kostenlose Bücher