Du oder die grosse Liebe
schließe die Toilettentür wieder und lehne meine Stirn dagegen.
Ich weiß, ich verhalte mich irrational. Nicht alle mexikanischen Jungs sind wie Marco, genau wie nicht alle mexikanisch-amerikanischen Mädchen wie ich sind. Tatsächlich sprechen die meisten mexikanischen Mädchen, die ich kenne, Spanisch und haben wenigstens ein paar mexikanische Nachbarn. Ich nicht. Vielleicht bin ich zu hart mit Luis ins Gericht gegangen, aber andererseits habe ich ihn wahrscheinlich goldrichtig eingeschätzt.
Ich höre, wie die Tür sich öffnet, und vernehme das Klack-Klack-Klack von weiteren hochhackigen Schuhen auf dem Boden der Damentoilette.
»Omeingott, ich kann es nicht glauben! Das Mädchen, das wie ein Freak tanzt, hat Luis getreten und ihn dann auf der Tanzfläche stehen lassen!«, höre ich eins der Mädchen sagen.
Ich habe ihn nicht getreten. Ich habe mein Knie benutzt, aber ich habe nicht vor, sie über ihren kleinen Irrtum aufzuklären. Zumindest nicht gleich.
»Hast du einen Blick auf seine Lippen werfen können?«, sagt das andere Mädchen. »Lecker.«
Ich verdrehe die Augen.
»Schon klar, okay? Ich habe ihm versprochen, dabei zu helfen, seine Wunden zu heilen. Ich treffe ihn in fünf Minuten drüben beim Pier. Ich werde berichten, wie kusstauglich seine Lippen sind.«
Dann herrscht Schweigen, daher spähe ich durch die schmale Ritze zwischen Klotür und Kabinenwand. Die Omeingott-Tussi schiebt ihre Titten so weit hoch, dass ihr Dekolleté an zwei pralle Arschbacken erinnert, die aus dem Kleid gucken. Sie dreht sich zu ihrer Freundin um. »Wie seh ich aus?«
Ich nehme das als mein Stichwort, aus der Kabine zu kommen und mich zu zeigen. Sobald ihnen bewusst wird, dass sie nicht allein sind, gucken sie erst mich und dann einander an. Ich tue so, als würde ich Haar und Make-up in dem großen Spiegel direkt neben ihnen richten.
Ich beschließe, ihnen einen Ratschlag zu geben. Nicht weil sie darum gebeten hätten, sondern weil sie ihn brauchen können.
»Nehmt euch vor Jungs, die wie Luis aussehen, in Acht«, sage ich. »Typen wie er benutzen einen und lassen einen dann wie eine heiße Kartoffel fallen, wenn ihnen jemand anders über den Weg läuft.«
Omeingott-Tussi stemmt ihre Hand in die Hüfte und mustert mich von oben bis unten. »Warum glaubst du, dass mich das interessiert?«
»Ich versuche nur zu helfen. Du weißt schon, Frauensolidarität und all das.«
»Solidarität?«, fragt das Mädchen spöttisch. »Ich solidarisiere mich nicht mit Mädchen, die tanzen, als hätten sie einen epileptischen Anfall. Und ich hasse Jungs nicht, wie es offenbar bei dir der Fall ist.«
Ihre Freundin hat angefangen zu lachen. Die Omeingott-Tussi stimmt ein. Sie lachen mich aus, genau wie die Mädchen bei Malnatti’s an dem Abend, als ich sah, wie Marco Mariana küsste. Es sollte mir egal sein, ist es aber nicht.
Ich gehe aus der Damentoilette und lasse die Omeingott-Tussi und ihre Freundin alleine weitertratschen.
Ich hasse Jungs nicht. Ich bin bloß … vorsichtig.
Meine Mom zwingt mich stehen zu bleiben, als ich an ihr vorbeikomme. »Hast du dich schon bei Luis entschuldigt?«, fragt sie.
Ich schüttle den Kopf. »Das wollte ich gerade«, sage ich rasch und starte eine vorgetäuschte Suche nach Luis.
Ich spaziere den Strand auf und ab und lasse mir Zeit, zur Party zurückzukehren. Die Wellen, deren Zungen am Ufer lecken, und der frische Geruch, der in der Luft liegt, erinnern mich an den Tag, als ich Marco gesagt habe, dass ich ihn liebe …
An den Abend, an dem ich feststellte, dass ich schwanger bin.
Ich würde alles dafür geben, nicht die Enttäuschung und das Entsetzen auf den Gesichtern meiner Eltern sehen zu müssen, wenn sie erfahren, dass ihre fünfzehnjährige Tochter von dem Jungen geschwängert wurde, für den sie noch nie etwas übrig hatten. Irgendwann werde ich ihnen die Wahrheit sagen müssen; dass ich einen Schwangerschaftstest gemacht habe und er positiv war, aber ich könnte schon losheulen, wenn ich nur daran denke.
Während es auf der Party bis spät in die Nacht hoch hergeht, sitze ich auf einem Felsen weit weg am Strand und blicke auf die Wasserfläche, die sich scheinbar endlos vor mir ausdehnt. Ich sitze lange so da und lausche der leise von der Hochzeit herüberschallenden Musik. Ab und zu spüre ich einen Krampf im Unterleib, der höllisch wehtut, aber er lässt langsam nach, wenn ich gleichmäßig und kontrolliert ein- und ausatme.
Genug geschmollt, Nikki. Steh auf und komm
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