Du sollst nicht töten: Mein Traum vom Frieden (German Edition)
Ich sehe Frédéric und dessen mahnendes Gesicht. Also erwidere ich Assads Lächeln wieder nicht. Frédéric hatte gesagt: »Die Kameras sind lange an.«
Dann sehe ich, wie Assad sich auch von Frédéric verabschiedet. Und mein Herr Sohn lächelt von einem Ohr bis zum anderen. Sein breitestes Grinsen. Obwohl überall Kameras laufen und Fotoapparate klicken. Wie schön es doch ist, anderen Ratschläge zu erteilen und sich selbst nicht daran halten zu müssen!
Der ehrliche Stefan Rocker meint, das Interview sei nur am Anfang richtig gut gewesen. Ich hätte viel aggressiver weiterfragen müssen. Frau Luna hingegen findet das Interview zwar fair, aber für arabische Verhältnisse am Rande einer Provokation. Obwohl ich den Präsidenten vorgewarnt hätte. In Syrien könne man es so nicht ausstrahlen. Ich hätte den Präsidenten zu Beginn ja geradezu überfallen. Das sei keine normale Frage nach einem Rücktritt gewesen. Außerdem hätte ich die Beine übereinandergeschlagen. In der arabischen Welt sei das unhöflich.
Das stimmt alles. Menschen machen Fehler. Ich auch. Aber besser kann ich es nicht. Es ist schließlich das erste Interview meines Lebens. Ich verabschiede mich von allen Technikern und Kameraleuten persönlich. Dann geht es zurück ins Hotel. Endlich in einem ganz normalen Auto.
Der Abend mit Al-Qaida
Der Tag des Interviews mit Assad war unser letzter Tag in Syrien. Gerne wären Frédéric und ich noch einmal durch Bab Tuma gebummelt. Doch ich wollte unter allen Umständen noch einen Al-Qaida-Gefangenen treffen. Gab es in Syrien überhaupt Al-Qaida-Kämpfer und -Gefangene? In Deutschland war ich stets ausgelacht worden, wenn ich über die wachsende Rolle Al-Qaidas in Syrien berichtete.
Assad hatte mir im ARD -Interview versprochen, dass ich festgenommene Al-Nusra-Kämpfer sehen könne. Und in der Tat klingelte nachmittags das Telefon. Wir könnten in der Geheimdienstzentrale der Luftwaffe in Harasta bei Damaskus mit gefangenen »Terroristen« sprechen. Ex-Botschafter Hussein Omran werde uns abholen.
Eine Stunde später ist Omran da. Er ist ein würdiger, hochgewachsener älterer Herr, ausgezeichnet mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Er spricht ein derart erlesenes Deutsch, dass ich froh bin, dass das Interview auf Englisch stattgefunden hatte. Wir hätten durch seine gewählte Sprache viel Zeit verloren. Er ist Alawit, verheiratet mit einer Sunnitin. Der Hausarzt seines Sohnes ist Jude. Den sektiererischen Bürgerkrieg findet er absurd.
Die Gegend, in die wir fahren, gilt als gefährlich. Geheimdienste sind beliebte Ziele für Bombenanschläge der Rebellen. Überall sehen wir Kontrollposten, Polizei, Soldaten. Wie eine Festung ist das Geheimdienstgelände verschanzt. Im Slalom umfahren wir die zahlreichen Barrikaden. Im Zentralgebäude werden wir sofort ins Büro des diensthabenden Generals gebracht.
Wenige Minuten später wird ein schüchterner junger Mann hereingeführt. Man hat ihn offenbar noch schnell ordentlich angezogen. Seine dunkelblauen Hosen und sein hellblau gestreiftes Hemd sind sorgfältig gebügelt. Er heißt Mohammed Amir Ali Abdullah, ist 26 Jahre alt und Medizinstudent im vierten Studienjahr. Unsicher, leise, mit vielen Pausen beginnt er zu erzählen. Hussein Omran übersetzt.
Frédéric glaubt Mohammed anfangs kein Wort. Alles ähnelt zu sehr deutschen Gerichtsverhandlungen: Ein junger, psychisch labiler Mann gerät in die Hände salafistischer Anwerber. Sie verpassen ihm eine Gehirnwäsche. Für Frédéric ist das alles zu glatt. Außerdem fühlt er sich in der düsteren Geheimdienstfestung unwohl. Draußen hört man Schüsse.
Doch plötzlich klickt es bei Frédéric. Er merkt, dass die Erzählung Mohammeds schlüssig ist. Dass dieser mit sich ringt, sich selbst belastet, das Regime kritisiert. Frédéric fängt an mitzuschreiben. Mohammed erzählt, dass er der Jabhat Al-Nusra angehöre. Der »syrischen Ausgabe von Al-Qaida«, wie er sagt. Aber erst seit sieben Monaten. Er sei ganz langsam in die Sache hineingeraten.
Er komme aus einem Dorf in der Nähe von Deir ez-Zor, einer Stadt 450 Kilometer nordöstlich von Damaskus. Die Muslime seines Dorfes seien nicht radikal. Auch er sei nie Extremist gewesen. Er habe davon geträumt, Medizin zu studieren. Dazu habe er ein gutes Abitur gebraucht. Er habe viel gearbeitet. Und es geschafft.
Im zweiten Studienjahr habe er psychische Schwierigkeiten bekommen. Er habe kaum noch schlafen können und
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